Wie Janina Audick zu einer der eigenwilligsten Bühnenbildnerinnen wurde
Den Bühnenraum als politisches Statement begreifen und dafür mit beiden Händen in den Fundus der Popkultur greifen: Das ist Janina Audicks Methode geworden. Ihre Hände sind schmal, agieren forsch. Ob sie ein Buch aufschlägt oder eine Stoffprobe befühlt, Handwerk und Denken, dass gehört zusammen auf dem Spielplatz Bühnenbild. Wo es für Janina Audick immer ums Ganze geht. Politik. Und Kunst. Die richtige Haltung zu all dem. Im Gespräch ist Janina Audick offen, erfrischend selbstbewusst. Geboren 1973, hat sie Bildende Kunst, Mode und Bühnendesign in Kassel und an der FH Hamburg studiert. Neben unzähligen Bühnenbildern mit namhaften Regisseuren hat Audick zuletzt Raumkonzepte für das Foyer des Hebbel am Ufer und des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf realisiert.
An einem sonnigen Apriltag erklärt Audick in der Kantine des Theater Basel, wo die Herausforderung ihres aktuellen Bühnenbildentwurfes liegt: Wie eine Revolution zeigen, die nicht wieder nur Trademark und kommerzieller Hype ist? Sebastian Hartmann inszeniert Luigi Nonos Revolutionsoper „Al gran sole carico con amore“ aus dem Jahr 1975. „Das ist das Komplizierte an dieser Arbeit: etwas anderes als attitude zu finden und ein zukunftsorientiertes Anliegen zu formulieren“, erklärt sie. Und bezieht sich auf Ai Weiwei. „Der hat in Düsseldorf mit seiner Ausstellung gerade gefragt, wo die Revolution eigentlich ist.“
Nono ging es damals um die Dialektik von Aufstand und Repression. Vergessenen Frauenfiguren aus Geschichte und Literatur eine Stimme geben: Louise Michel, Tanja Bunke, Brechts „Mutter“. „Al gran Sole“ kommt Audicks Interessensgebieten entgegen. Feminismus und Widerstand gegen Repression. Die Themen, mit denen sie von klein auf geimpft worden ist. Lebensthemen, die immer wieder aktuell werden. „Ich freue mich darüber, dass es in der Oper neben all den Kämpfen auch um Liebe geht, um Solidarität und die Schönheit des Lebens.“
Bei ihrer Recherche ist Audick auf die Arbeit des bildenden Künstlers Jürgen Schäfer gestoßen, einen Vertreter der Leipziger Schule. „Das Wesen ohne Körper“ heißt das Bild, das zur Inspiration wurde: Das Gemälde zeigt eine schematisch dargestellte Figur in einer tristen Landschaft. Dimensionen, in denen der Mensch verschwindet. Die Figur wird jetzt in Basel aus Stahl gebaut. „Aus dem Schnürboden gleitet ein Wesen auf die Bühne herab, mit der Aufschrift SIEG. Für mich ist es das wichtigste Bühnenelement, denn es stellt die Repressionsmaschine dar, Künstliche Intelligenz, Autorität.“
In den Werkstätten des Theaters begutachtet Janina Audick den Stand der Vorarbeiten, spricht mit dem Produktionsleiter, mit dem Chef des Malersaals. In dieser Phase ist die Arbeit handwerklich, manchmal kleinteilig. Das Modell für das Bühnenbild zeigt eine weiße steinerne Mauer. Davor eine riesige umgestürzte Statue im klassizistischen Stil. Ist das aufblasbare Maschinengewehr schon da? Ideen, zunächst im Puppenhausformat entworfen, hier werden sie umgesetzt. Im Bühnenbildatelier liegt in einer Pappschachtel neben Audicks Modell ein Sammelsurium an Bauteilen, die in den verschiedenen Bildern der Oper zum Einsatz kommen sollen. Der steinerne Kopf der Frauenskulptur, Brüste, die als Sitzelemente dienen werden. Audick bespricht mit dem Produktionsleiter ob die Metallskulptur es aushält, wenn Teile des Chors darauf stehen? Alle Elemente müssen in den nächsten Wochen konstruiert und gebaut werden, damit bis zur Bauprobe alles fertig ist.
Zwei Wochen später zeigt Janina Audick in ihrem Berliner Atelier auf die Bücher, die sich auf dem Boden stapeln. Feministische Kapitalismuskritik, Soziologie, Kunstbücher. An diesem Nachmittag trägt sie bunte Plüschpuschen und einen violetten Wollpulli zur schwarzen Hose. Es gibt schwarzen Kaffee und wir sprechen über die Rolle des Bühnenbilds im Theater. „Der Bühnenbildner ist der erste Autor im Theater“, sagt Janina Audick bestimmt. Er legt vor. René Pollesch und Christoph Schlingensief, die Regisseure mit denen Audick Ende der 90er Jahre anfing als Bühnenbildnerin zu arbeiten, hatten und haben aus Prinzip zu dem Zeitpunkt kein fertiges Konzept, an dem die Theater ihre Bauprobe ansetzen. Gebaut werden muss aber. Also entwirft und baut Audick frei und lange vor Probenbeginn. Manchmal nach einem flapsigen Telefonat, ohne genau zu wissen, was gespielt wird. „Bühnenbild und Regie inspirieren sich gegenseitig“, sagt sie, „mal legt der eine vor und mal die andere, so ist das eben.“
Janina Audick ist als prägende Kraft dabei gewesen, als im Berlin der Nuller Jahre die Uhren plötzlich schneller gingen und das Theater von der Performance her gekapert wurde. Als Kind ihrer 68er Eltern, ihr Vater war Lehrer, ihre Mutter technische Zeichnerin, ist Politik immer Teil ihres Alltags, ihres Denkens gewesen. Skepsis gegenüber Institutionen war normal. Nach der Wende ging sie nach Berlin, wo die Zeiten wild waren. Die Stadt war eine Spielwiese für Kunst und Politik.
Janina Audick hat nicht irgendwo klein angefangen, sondern mit dem Newcomer René Pollesch im Jahr 2000 für www-slums das Rangfoyer des Hamburger Schauspielhauses als Raumbühne gestaltet. Sie hatte eine Arbeit von ihm im Berliner Podewil gesehen, und sich vom Unfertigen und Neuen seiner Arbeitsweise angesprochen gefühlt. „Ich kann hier was beitragen hab ich damals gedacht. Wir haben uns getroffen und ab da ging es los.“ Einfach machen war die Devise. Oft hieß das selber machen. Kostümteile besticken, bauen, malern. Über Jahre hat Audick mit Pollesch und Schlingensief zusammengearbeitet. Gemeinsam haben sie die ausgetretenen Pfade der Repräsentation verlassen. Die kategorische Trennlinie zwischen Kunstort und Alltag galt es einzureißen, das Medium zu modernisieren, es zur Popkultur hin zu öffnen.
Inzwischen ist sie eine arrivierte Künstlerin. Was sie an neueren Handschriften sieht, misst sie an dem, was sie auf ihrem Weg an künstlerischen Wagnissen erlebt hat. Bei vielen jungen Theaterleuten vermisst Audick das Vertrauen in die eigenen Ideen. Räume und die Budgets sind enger geworden – schwierige Bedingungen für Newcomer. „Ich fürchte auch, es gibt neuerdings so viele Bühnenbildnerinnen, weil hier kein Geld mehr zu verdienen ist.“
Im vergangenen Jahr hat die Künstlerin „Janina Audick. Talent“ herausgegeben, einen Rückblick auf zwanzig Jahre Arbeit in Buchform. Mit entwaffnender Freimütigkeit, gibt sie Einblick in ihre Werkstatt. In der Zusammenschau und auch in der lockeren Dramaturgie des Buches werden Audicks Originalität und Witz greifbar. „Ich habe mit den prägenden Figuren zusammengearbeitet, die Veränderungen angestoßen haben. Und ich war selbst prägend in diesem Prozess. Das wollte ich bewahren. Deshalb war es auch ein feministischer Akt, dieses Buch zu machen und meinen Beitrag öffentlich zu machen.“
Der Kontakt zu Christoph Schlingensief, dem allseits geliebten politischen Theatermann wurde 2003 von der Dramaturgin Stefanie Carp hergestellt. Schlingensief beauftragte Janina Audick für die Reihe „Attabambi-Pornoland“ eine eigene künstlerische Version für die Drehbühne des Schauspielhauses Zürich zu entwickeln. „Ich bin mit einem Koffer voller Bücher hingegangen, die ich mir zur Inspiration ausgeliehen hatte. Eine Skizze hatte ich schon und so bin ich in den vierten Stock zu ihm in die Wohnung gestiefelt.“ Ab da haben Audick und Schlingensief immer wieder zusammengearbeitet, sich gegenseitig inspiriert.
Bilanz ziehen, schauen, was noch kommen kann. Das steht im Moment auf der Agenda. Janina Audicks Ansatz, Theaterräume von ihren Auftrittsmöglichkeiten her zu denken, ist inzwischen beinahe klassisch geworden. Kein Wunder also, dass sie als Bühnenbildprofessorin an die Universität der Künste berufen wurde. Sie lehrt dort ab Oktober. Angesichts der restaurativen Züge der Gegenwart wird die Universität in ihren Augen zum „Möglichkeitsraum, von dem aus das Theater neue Impulse bekommen kann.“ Am Hebbel am Ufer hat Audick jüngst in einem Regiekollektiv eine Hommage an Einar Schleef inszeniert. „Tarzan rettet Berlin“ war ein bunter Abend mit einem genderdiversen Chor, der den Großmeister nicht einfach feiern, sondern seine Arbeit von heute aus reflektieren wollte. Janina Audick sorgte mit rotem Teppich und grünem Steg für die glamourösen Auftritte des Chors.
Weiter Regie führen? Ja, das sei auch eine Option, sie könne sich einiges vorstellen, sagt Janina Audick verschmitzt.
Auch wenn es nach ihrem Geschmack aktuell vielerorts zu brav daherkommt, Janina Audick steht hinter dem Theater als Medium. „Wenn draußen alles gefilmt und inszeniert wird, wird das Theater wieder zum Handlungsraum.“ Und sie liest eine Stelle aus ihrem Buch vor. Die Bühnenbildnerin Janina Audick hat eine klare Haltung dazu, was politisch richtig und künstlerisch interessant ist. Müde ist sie noch lange nicht. Die eigene Stimme finden, den eigenen Ideen vertrauen und sie in die Welt setzen, kompromisslos. „Daran erkennt man das Talent. Das ist das, was Talent ausmacht.“