Der Performer Anders Carlsson erzählt in der Vierten Welt eine tragische Geschichte und zieht bittere Bilanz über seine Verantwortung gegenüber einem realen Protagonisten
(Wie) kann Kunst die Welt verändern? In der Regie von Dirk Cieslak erzählt der schwedische Performer Anders Carlsson in Checkpoint 16 wie er im Jahr 2006 bei einer Recherchereise den jungen vertrauensvollen Palästinenser Fadi kennen lernte und sich mit ihm anfreundete.
In der aktuellen Arbeit nimmt er jetzt den Zuschauer mit in einen Diskursraum, in dem er offenlegt, wie sich zu Solidarität auch Wut auf die patriarchalen Verhältnisse in Fadis Familie gesellt. Als er genug gesehen hatte, reiste Carlsson ab und produzierte ein enorm erfolgreiches Stück über Fadi.
Als er 2016 erfährt, dass sein Protagonist seit 2007 im Gefängnis lebt, ist der Künstler schockiert. Er macht sich auf den Weg, um die Umstände der Verhaftung zu verstehen und es wird klar: während er von der Begegnung damals enorm profitierte, ist Fadis Leben den Bach runtergegangen.
Im Jahr der ersten Begegnung, 2006, formulierte der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani in seinem Text „Ausnahmezustand“ (stark performt von Judith van der Werff) eindringlich, wie er angesichts der israelischen Gewalt gegen die Palästinenser seine kritische Distanz aufgibt. In Checkpoint 16 verheddern sich Kermanis und Carlssons Erfahrungen zu einem Knäuel hochaktueller Fragen nach der Rolle des Künstlers in Krisengebieten, zwischen Beobachtung und Aktivismus.
Dem Team der Vierten Welt gelingt eine luzide Abrechnung mit naiver Empathie für Krisenopfer, indem es die Verantwortung (für möglicherweise versäumtes Handeln) offen legt. Denn das vermag die Kunst: die eigene Moral – und die des Publikums – auf den Prüfstand zu stellen.