Die Mehrhändige

Eine Frau nachts allein in der Villa Silberblick, dem Nietzschearchiv in Weimar, umgeben von stummen Exponaten. Kein Wunder, dass die Assoziationsmaschine anspringt. Evy Schuberts Text „Goldene Angelegenheiten“ ist unter solch skurrilen Umständen im Frühjahr 2016 während eines Stipendienaufenthalts entstanden. Umgeben von Zeugnissen eines gewichtigen Denkerlebens, die hier nachts völlig unbeachtet herumstehen, umkreiste sie schreibend die An- und Abwesenheit von Blicken, ein universelles Künstlerthema, das im Text durchaus auch (selbst-)ironische Züge trägt.
Als tragikomische Tour de Force einer lebendig gewordenen Skulptur im goldenen Ganzkörperanzug wurde die Suchbewegung am Ballhaus Ost von der Autorin jüngst inszeniert: das verlassene Museum als Metapher für das fragile Phänomen des Ruhms. Eine verführerische, denkende Frau. Mächtig und hilflos, Charmeoffensive und Gedankenbombardement. Schuberts Regie verblüffte, indem sie die mäandernde Suchbewegung dezidiert sinnlich auf die Bühne brachte, streng und leicht zugleich.

Ursprünglich von der Fotografie kommend, wurde Schubert, wie sie beim Kennenlernen in einem Café in Berlin Mitte berichtet, an der Volksbühne zur Regisseurin. Über Jahre assistierte sie Dimiter Gotscheff und Herbert Fritsch. Mit Schauspielern aus deren Dunstkreis drehte sie 2015 und 2016 je einen preisgekrönten Film. Nach dem Stellenwert von Film- und Theaterarbeit gefragt, denkt sie nicht lange nach. „Meine Sozialisation ist vom Theater geprägt“ erklärt sie, und ihre prominente Stirnsträhne erinnert dabei an Gotscheffs Matte. „Wie ich mit Schauspielern arbeite, wie ich nach Sprache suche, das alles kommt vom Theater her. Im Film denkt man völlig anders, ausschnitthaft, von Einstellung zu Einstellung – auch wenn man das große Ganze im Hinterkopf hat.“ Als Gemeinsamkeit ihrer so unterschiedlichen Theater- und Filmarbeit stechen die intensiv gearbeitete Schauspielkunst und die literarische Sprache hervor.

Die Filme „Dominus Dixit“ und „Korridor No. 50“ sind surreale Ensemblestücke. Die Ausstattung zitiert Volksbühnenästhetik, gleichzeitig kreieren die Filme eine eigene, höchst markante und poetische Bildsprache. Sie zeigen randständige Figuren, Kommunikation als schönes, aber vergebliches Ausgreifen in Richtung Mitmensch. „Westend“, Schuberts Vierpersonenstück in der Tradition des absurden Theaters, hat die Vergeblichkeit des Redens zum zentralen Thema. „Welche Texte kann man heute schreiben? Was ist angemessen, was ist schön?“ fragt die Bühnenautorin Schubert, die über Metaphern und Bilder vom Menschsein spricht und sich für bloße Abbildung kein bisschen interessiert.

Im Moment zielt Evy Schuberts Sehnsucht auf das Theater, den Kontext von Raum und Körper, wie er im Film nicht zu fassen sei. Derzeit ist sie mit Theatern im Gespräch und das ist gut, denn mehr Regie führen, weiter an der Ästhetik arbeiten, das steht im Augenblick ganz oben auf der Prioritätenliste. Eine dritte Filmarbeit ist in Planung, um das Triptychon der Filmarbeiten abzuschließen. Aktuell schreibt Schubert außerdem an einem Monolog für die Sabine Waibel, der 2017 zur Uraufführung kommen soll.
Die Quadrierung des Bildes im Film, das bleibe für sie interessant, erklärt Schubert noch. Viele Eisen glühen im Feuer, es geht jeweils um dasselbe Projekt: das freie Denken wagen, Erzählweisen finden, die sich nicht an einem Plot orientieren. Den Mut diesen Weg zu gehen, hat Evy Schubert während der Volksbühnenjahre gewonnen. Und das ist es, was sie als Auftrag mitnimmt in die Welt. Sichtbar werden mit dem eigenen Blick auf die Welt. Schubert scheint damit auf einem guten Weg zu sein.