Postrepräsantative Bühnen

„Hase wäre falsch. Bleib bei der Taube, kann es nicht erklären, aber Hase ist falsch“, schreibt Christoph Schlingensief 2003 per SMS an Janina Audick. Sie ist gerade dabei, das Produktionsdesign für seine Wagner-Rallye im Jahr 2004 zu entwickeln. Wenn die Taube richtig ist und Schlingensief nicht erklären kann, warum, gibt das Auskunft darüber, dass das Verhältnis von Bildwelt und Inszenierung flirrt. Auch wenn sie gerade keine illustrative Funktion haben, sind die Elemente keineswegs beliebig.
Mit einer üppig bebilderten Publikation ist in der Edition Patrick Frey jetzt „Janina Audick Talent“ erschienen, Werkschau der bisherigen Arbeit der stilbildenden Bühnenbildnerin, die neben unzähligen Bühnen- und Kostümbildern für Schlingensief, Pollesch, Fritsch und andere auch die Innen- und Außengestaltung des HAU – Hebbel am Ufer unter Annemie Vannackere und des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf unter Jürgen Fischer-Fels verantwortete. Ihre Arbeit im Filmbereich reicht von Konzepten für „Petra“ und „Korleput“ des inzwischen historischen Kollektivs Hangover ltd.* bis zum Kostümbild für „3 Tage in Quiberon“ von Emily Atef.
Die Werkschau, liebevoll gestaltet von Janina Audick und Michi Schnaus, mixt handschriftlich kommentierte Archivfotos, Schnipsel, Skizzen und Textbeiträge diverser Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen zu einem Bilderbuch, das sich wie ein Stück jüngerer Theatergeschichte liest. Großzügig gewährt Janina Audick einen intimen Einblick in zwanzig Jahre praller Werkstattgeschichte.
Die Anordnung des Materials folgt ungefähr dem Prinzip der Chronologie. Sibylle Berg interviewt Janina Audick zu ihrem künstlerischen Werdegang, Janina Audick interviewt Andreas Beck über seine Erinnerungen an die Pollesch-Serie „www-slums“, Helene Hegemann schickt eine SMS aus Venedig mit Anekdoten und Würdigung des Audick-Kosmos, Janina Audick schreibt im ICE einen Kitschroman. Dazwischen unzählige Fotos, die den Vergleich von Entwürfen und fertigen Bühnenbildern zulassen: tortenartige Bühnenbauten, Treppen, und immer wieder Teppiche, weil es um den Auftritt geht.
„Janina Audick: Talent“ – der Titel geht auf das Pollesch-Bühnenbild für „Revolver der Überschüsse“ zurück, wo das Wort „Talent“ einen Bühnenteil zierte – erzählt auch davon, wie sich die Avantgarde der jüngeren Theatergeschichte Ende der 90er Jahre in Berlin zusammenfand. Wie Janina Audick für „Heidi Hoh“, die erste Theaterserie des damaligen No-Names René Pollesch, mit dem sie bis heute zusammenarbeitet, die Raumbühne erfand. Die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum war praktisch aufgehoben, das Publikum saß auf lustigen Sitzkissen mittendrin.
Audick enterte die Berliner Theaterlandschaft in dem Moment, in dem bereits Kritik am Repräsentationstheater rumorte. Die Wende war schuld oder Frank Castorf, Heiner Müller, das Internet, oder alles zusammen, jedenfalls wuchs das Bewusstsein dafür, dass Illusion, Figur und stringente Narration als künstlerische Praxis die immer dynamischer strudelnde Gegenwart verfehlten.
Janina Audick war zur Stelle, als sich die Bühnenkunst für Elemente der Performance öffnete. Als das Narrativ abgelöst wurde von einem Overload an Text, Bild und Ästhetik. Im Zuge dieser produktiven Rebellion schälte sich ein neues Konzept dessen heraus, was Bühnenbild ist. Eine selbstbewusste, eigenständige Kunst, die den spezifischen Raum für Auftrittsmöglichkeiten erschafft.