Gesampelte Gegenwart

Die Autorentheatertage präsentieren auffallend viele Stücke, die reales Geschehen assoziativ zu neuen Geschichten arrangieren

Der Regisseur hat im Theater den wirksamen Hebel, der Dramatiker liefert kostbaren Stoff. Der Streit, wer mehr gilt, ist so alt wie das Regietheater und bleibt unentschieden. Bei den Autorentheatertagen gab es in der Vergangenheit Ärger, wenn jungfräuliche Texte in polemischen Werkstattinszenierungen zerfleddert wurden. Autorenförderung sieht anders aus.
Doch die Autorentheatertage, neben den Mülheimer Theatertagen das wichtigste Fetival für Gegenwartsdramatik, sind lernfähig: Die im letzten Jahr begonnene Praxis, die drei Gewinnerstücke regelrecht inszenieren zu lassen und sie anschließend fest in das Repertoire von Burgtheater Wien, Schauspielhaus Zürich oder Deutschem Theater aufzunehmen, hilft den Autoren tatsächlich.

Unter Vorsitz der Kritikerin Barbara Behrendt,34, wurden aus 175 Einreichungen in diesem Jahr Stefan Hornbachs Über meine Leiche ausgesucht: Krebskranker trifft Lebensmüde. Nicolas Charaux inszenierte es fürs Burgtheater. Dominik Buschs Das Gelübde das von einem Mann erzählt, der in Todesangst einen folgenreichen Pakt mit Gott schließt, inszenierte Lily Sykes für das Schauspielhaus Zürich. Jakob Noltes Gespräch wegen der Kürbisse seziert in grotesk abgründigem Kaffeegeplauder Neurosen der Wohlstandsgesellschaft. Regie führt Tom Kühnel fürs DT.

Im Gastspielprogramm ist ein interessanter Typus mehrfach vertreten, der für eine avancierte Form der Autorschaft im Theater steht. Jan-Christoph Gockels Ramstein Airbase: Game of Drones, entstanden am Staatstheater Mainz, steht exemplarisch für Projekte, bei denen Realitätsfragmente den Ausgangspunkt einer künstlerischen Assoziationskette bilden. Gockel verknüpft eigene Kindheitserinnerungen – er wuchs in der Nähe von Ramstein auf – mit Erkenntnissen aus einem Gespräch, das er mit dem ehemaligen Drohnen-Operator und jetzigen Whistleblower Brandon Bryant am Theater Mainz führte. Das Projekt des Schweizer Theatermachers Thom Luz LSD – Mein Sorgenkind bezieht sich auf einen Vorfall in einem Basler Chemielabor. Per Zufall probierte im April 1943 der Wissenschaftler Albert Hofmann die bewusstseinserweiternde Droge. Sein Heimweg auf dem Fahrrad wurde von Luz musikalisch assoziativ nachgebildet. Autor-Regisseur Nuran David Calis verdichtete bei seiner Recherche am Schauspiel Köln zum Wesen der Religion unter dem Titel Glaubenskämpfer O-Töne von Imamen und Priestern zu einer Art szenischem Essay. Die drei genannten Theatermacher sind Autoren in einem noch recht neuen Sinn: Ihre Autorschaft besteht darin, vorgefundene Realitätssplitter und Geschichten zu sampeln und zu arrangieren.

Samplen ist in, aber der inszenierte Theatertext bleibt der Regelfall unter den elf Gastspielen. Inszenierungen von Texten so etablierter Dramatiker wie Roland Schimmelpfennig. Elfriede Jelinek und Fritz Kater sind eingeladen. Schimmelpfennigs Fukushimastück An und Aus, als Auftragswerk für das New National Theatre in Tokio entstanden. Fritz Kater (schreibendes Alter Ego des Regisseurs Armin Petras) zeigt I’m searching for I:N:R:I, ein Stück über Ohnmacht und Verantwortung. Darja Stocker zeigt eine Antigone-Aktualisierung, die Nur-Dramatikerin und Durchstarterin Henriette Dushe ist in diesem Jahr mit Lupus in Fabula aus Graz und In einem dichten Birkenwald, Nebel vom Landestheater Detmold gleich doppelt vertreten. Das Rahmenprogramm bietet Spotlights zu den Autoren, Podiumsgespräche und diverse Diskussionsangebote.