Der biblische Hiob ist ein Versuchskaninchen. Auf seinem Rücken tragen Satan und Gott ihren Machtkampf aus. An ihm testen sie aus, wie viel Leid ein Mensch verträgt, bis er sich von Gott abwendet. Der jüdische Schriftsteller Joseph Roth hat die Krise des Hiob, in seinem Roman eines einfachen Mannes, erschienen 1930, in seine Gegenwart geholt. Roths Hiob ist der jüdisch-orthodoxer Dorflehrer, der um 1900 mit seiner Frau Deborah und zwei Kindern aus einem russischen Schtetl nach Amerika auswandert. Ein krankes Kind lässt er zurück. In Amerika kommt die Familie zu Wohlstand. Doch dann folgt ein Schicksalsschlag dem anderen.
Mit einer Bühnenfassung des Stoffes gibt die junge Regisseurin Anne Lenk, Jahrgang 1978, seit 2007 Berlinerin, am Deutschen Theater ihr Berlin-Debüt. Nach dem Studium scheute sie davor zurück, sich an ein Haus fest zu binden, erzählt Lenk beim Espresso. Erst mal schauen, wie es so läuft.
Nach Abschluss des Studiums an der Otto-Falckenberg Schule in München wählte sie Berlin als Wohnort, pendelte aber zum Inszenieren ans Theater Augsburg, ans Hamburger Thalia Theater und ans Münchner Residenztheater. Mit „Phosphorus“ von Nis-Momme Stockmann war im Jahr 2014 bei den Autorentheatertagen erstmals eine ihrer Inszenierungen in Berlin zu Gast – am Deutschen Theater.
Anne Lenk, deren Sohn dieses Jahr eingeschult wird, nennt einige Gründe, warum es toll sei, jetzt am DT zu arbeiten: Ihre besondere Bindung stamme aus der Zeit, als David Rott, Schauspieler und enger Freund, unter Dimiter Gotscheff am Haus arbeitete – das war zwischen 2001 bis 2003. Viele persönliche Handschriften habe man damals und seither am Deutschen Theater erlebt. Dafür steht diese Bühne für sie nach wie vor.
Der Zugriff auf Stoffe geht bei Anne Lenk zuerst über die Sprache. Von der poetischen Kraft des Hiob hat sie sich berühren lassen. Anne Lenk erzählt, wie sie den Roman während einer Probenphase in Augsburg in einer einzigen Nacht durchlas, wie auch sie die Sehnsucht nach dem abwesenden Kind empfand, die Mendel Singer in New York quält. Lenk ist beeindruckt, wie mühelos der Schriftsteller auch sprachlich den Bogen spannt zwischen der Banalität eines einfachen Lebens und dessen biblischen Dimensionen -den Fragen nach Glaube, Liebe und Hoffnung: „So vieles steckt in dieser Geschichte: Sie ist Familiengeschichte, Geschichte eines radikalen Systemwechsels, Schilderung einer schweren Krise.“
In ihrer Inszenierung will sich Anne Lenk darauf konzentrieren, die Motive zu verdichten und die Gegensätze atmosphärisch erfahrbar zu machen: hier die Enge und Verlässlichkeit in der Welt des Schtetl; dort die Freiheit der neuen Welt. „Was passiert, wenn eine Welt ins Rutschen gerät, an die man geglaubt hat, und man keinen Anschluss mehr findet? Das ist für mich das zeitlose Thema, und da erkenne ich mich in Mendel Singer wieder“, sagt die Regisseurin.