Ob beim ‚Tatortreiniger‘ oder in ihrem aktuellen Stück ‚Trilliarden‘: In den Arbeiten von Ingrid Lausund sind Tragik und Komik miteinander verschwistert
Ihr erscheine es richtiger, das Leben von seinem Endpunkt her zu betrachten als aus anderen Perspektiven, sagt die Dramatikerin und Drehbuchautorin Ingrid Lausund beim Kennenlernen in einem Café in Berlin-Mitte. Und das sei alles andere als düster. Wie kaum eine andere Stimme der aktuellen deutschen Dramatik verbindet Lausund Heiterkeit mit Tiefsinn, Denken mit Fühlen. Ihr Stück Trilliarden. Die Angst vor dem Verlorengehen, das zur Zeit in der Regie der Autorin läuft, ist ein poetisches Memento Mori der leichten Art.
Ingrid Lausund, 1965 in Ingolstadt geboren, vielgespielte deutschsprachige Dramatikerin, inszeniert ihre Stücke meistens selbst. Außerdem schreibt sie die Drehbücher für die hochgelobte NDR-Comedyserie Der Tatortreiniger, wie die Öffentlichkeit erst recht spät erfuhr. Die einzelnen Folgen sind veritable Kammerspiele mit feinem Humor, pointierten Dialogen und einer Titelfigur, gegen deren unaufdringlichen Charme nichts hilft.
Unter der Intendanz Tom Strombergs erfand Lausund am Hamburger Schauspielhaus Theaterabende wie Bandscheibenvorfall und Hysterion, hatte sich zuvor jahrelang am kleinen Theater Ravensburg als Autorin und Regisseurin warmgespielt, gründete im Jahr 2009 mit der Szenographin Beatrix von Pilgrim zwecks Selbstbestimmung die freie Produktionsfirma Lausundproductions, um künstlerisch unabhängig zu werden. In diesem Kontext entstanden unter anderem die Erfolgsstücke Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner und Tür auf- Tür zu.
Und nun also das eng mit dem Ensemble erarbeitete Projekt Trilliarden. Es kommt nun als hochmusikalischer, locker gewebter Geschichtenteppich daher. Beatrix von Pilgrim hat mit dem eindrucksvollen Raum aus Nebel und Licht ein schlüssiges Bild für das große Nichts gefunden. Die Figuren laufen im Kreis gegen den Uhrzeigersinn an und jede entblößt für einen dramatischen Moment die ängstliche Kehrseite ihres gut gehüteten Normalzustands: Einer, der sein Elternhaus gegen ordentlich Kohle an einen Supermarkt verhökert hat, bekennt, unter dem Konservenregal die Tapete seines Kinderzimmers gesucht zu haben. In seinen gutgebauten Körper vernarrt, wird ein anderer – aus dem Nichts heraus- von dem Gedanken ergriffen, das System seiner Zellen könne kollabieren. Fieberhaft monologisierend bröselt fortan jeglicher Sinn dahin, schieben sich im Stakkato Silben und Assoziationen ineinander, erscheint vor seinem inneren Auge eine vermoderte Hand.
Kalte Gier und Nostalgie, Depression und Wut, Narzissmus und Tod, all diese Dinge brodeln und brechen im Laufe des Abends immer heftiger hervor, kaum eine Aussage bleibt unwidersprochen stehen. Tiefsinn und spezifische Komik, Beiläufigkeit und Leichtigkeit, mit denen hier die Conditio Humana in all ihrer rührenden Vergeblichkeit skizziert wird, folgen der Lausund-Methode: Die großen Fragen des Menschseins, Sehnsüchte, Ängste, Leidenschaften, werden durchkreuzt, relativiert und torpediert vom Kontext alltäglicher Ärgernisse. Wollte der depressive Erbe eben noch vom Hochhaus springen, fürchtet er eine Minute später, sich auf der kalten Treppe eine Steißbeinentzündung zu holen. Wie Bjarne Mädel, Verwandter ersten Grades in Lausunds Theaterfamilie, (und genialer Schotty-Protagonist) das rausmault, ist es eine traurige, eine bombensichere Pointe.
Auf die Komik dieser Brüche angesprochen, formuliert die Autorin ihren Anspruch an Realität: „Das Große, Dramatische und das Alltägliche laufen nebeneinander und ineinander. Die wenigsten sitzen auf einem Berg in Afrika und denken über den Sinn des Lebens nach. Die großen existenziellen Fragen finden nicht in einem kontextlosen Raum statt, sondern in einer Lebensrealität, zu der Wäschewaschen gehört, die Steuererklärung und Handy-Verträge, die keiner versteht. Selbst in hochdramatischen Situationen wie dem Tod einer nahen Person ist man nicht nur mit den Fragen nach Sinn, Sein und Tod konfrontiert, sondern eben auch mit der Frage, ob es bei der Beerdigung Tomatensuppe oder Zwiebelsuppe geben soll. Und wenn diese Ebene des Alltags fehlt, denke ich, wird es oft unwahr.“
Und humorlos. Dass ihre Texte eine so starke Wirkung entfalten, liegt stark darin begründet, dass Tragik und Komik Hand in Hand gehen, in der Tradition des absurden Theaters. Tschechow und Beckett lassen grüßen.
Wie geht sie beim Schreiben vor? Die eigentliche Arbeit bestehe darin, sagt Lausund und denkt lange nach, eine abstrakte Frage konkret werden zu lassen, sie auf den Boden zu stellen. So stand am Anfang von Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner die Frage „Wieviel sind wir bereit, für ein Menschenleben auszugeben?“ Das Stück erzählt, wie fünf Personen eine Benefizveranstaltung planen. Ehrliches Engagement, aber auch Vorurteile und Eitelkeiten treten zu Tage. Das Publikum erlebt, wie diffizil es ist, Mitleid erzeugen zu wollen, erlebt auch, wie schwierig es ist, eine haltbare Position zu formulieren. Nach einem kraftvollen moralischen Monolog stellt der Protagonist schließlich fest, dass ihm am Ende fast die Wut ausgegangen ist.
Bei Publikumsdiskussionen werde das oft als Verrat gewertet. Lausund sieht das anders: „Wir sind eben nicht Helden oder Arschlöcher, so einfach ist es eben nicht. Für mich ist das eine realistische Situation: Man hat einen großen emphatischen Impuls, ernst gemeint und mit ganzer Kraft. Aber meistens hält man das nur einen Nachmittag durch. Und dann geht einem eben die Wut aus. Für mich macht diese Einsicht den Monolog nicht kleiner, sondern wahrer.“
Im Dezember 2015 lüftete Lausund das Pseudonym Mizzi Meyer. Bereits zweifach mit dem renommierten Grimmepreis dekoriert, liest sich die Besetzungsliste der einzelnen Folgen des Tatortreingers wie das Who ist Who des deutschen Theaterolymps: André Jung, Burkhard Klaußner, Sandra Hüller, Bettina Stucky, Michael Maertens, Charly Hübner sind dabei. Das spricht Bände über die Qualität der Bücher, über ein Format, das in einigen Kategorien, auch in der einfallsreichen Regie von Arne Feldhusen, das Klischee von Fernsehunterhaltung unterläuft.
Im Tatortreiniger putzt der beste Mann der Firma Lausen pro Folge einer Leiche hinterher und erkundet nebenbei bundesdeutsche Soziotope. Schottys intelligente Schlagabtausche mit Angehörigen und Passanten sind legendär. Da wird über Pro und Contra von Vegetarismus diskutiert, effiziente Mitarbeiterführung oder die Frage, ob es angeht, ein Kind ohne Migrationshintergrund aus gesellschaftspolitischen Gründen Özgür zu nennen. Die ganz und gar ungekünstelte Kunstfigur Schotty tut all das wunderbarerweise ohne allzu großen Ehrgeiz, ohne Anzeichen von Heldentum. Jeweils nur so weit, wie es die Durchführung des Putzauftrags und sein gesundes Ego verlangen. Gut, wenn Schotty sich richtig provoziert fühlt, greift er auch mal ein: Für die Folge „Schottys Kampf“, ausgeschlafene Reinigungsfachkraft überlistet Nazidumpfbacke, gab es 2013 den zweiten Grimmepreis.
Die Illusion von Normalität herzustellen –Voraussetzung für die bereitwillige Identifikation mit den Figuren- erfordert die Einhaltung gewisser Regeln. Angesprochen auf das Mann-Frau-Thema beschreibt Ingrid Lausund die Gratwanderung zwischen Realismus und seiner bewusst inszenierten Überschreitung so: „Beim Schreiben gehe ich oft von Situationen aus, die als ’normal‘ empfunden werden. Der Consulting Chef in der Folge: Sind sie sicher? ist ein Archetyp für männliches Chefgehabe. Verhielte sich eine Frau in dieser Rolle genauso würde das etwas miterzählen, nämlich das geschlechterspezifisch Außergewöhnliche an ihrem Verhalten. Das ist eben die Schwierigkeit: einerseits will ich Frauenrollen nicht in den gewohnten Archetypen fortschreiben, andrerseits gibt es Geschichten, wo das Thema zu sehr vom eigentlichen Konflikt ablenkt.“
Manchmal ist es auch weniger kompliziert. Die Trilliarden-Inszenierung läuft zum Beispiel auf einen langen intellektuellen Monolog zu, bei dem es um Vorstellungen des Jenseits geht. Er ist mit der Schauspielerin Juliane Kronen stark besetzt – ein Erlebnis, ihr beim Denken auf der Bühne zuzusehen. Weil die denkende Frau hier nicht oft zu beobachten ist. Nicht so pur. Ohne entschuldigenden oder auftrumpfenden Ton, ohne einen Begleitkommentar.
Ingrid Lausund erzählt, wie sie dazu kam: „Der erste Impuls war, dass ich bei dem Text an einen Mann gedacht hatte, obwohl es darin nicht um eine Biographie geht, sondern nur um Gedanken. Aber das sind Rollen-Gewohnheiten. Im Theater sehen die nun mal so aus, dass Männer auf der Bühne denken dürfen, Frauen dürfen fühlen und sich opfern. Von diesen Gewohnheiten bin ich natürlich auch geprägt, und genau deswegen ist es oft sinnvoll, Erstimpulse genau zu hinterfragen.“
Lausunds Theaterarbeit und der Tatortreiniger verbindet die bohrende Konsequenz, die manchmal nervtötende Hartnäckigkeit, mit der ein Thema, sei es Vegetarismus oder die Jenseitsfrage, hinterfragt wird. Aus multiplen Perspektiven. Und wie auf der Bühne ist auch in der Serie Reden das eigentliche Handeln. Ist Sprache das, was Menschen verbindet oder trennt.
Das Gespräch mit Ingrid Lausund ist intensiv. Sie artikuliert und formuliert, weil doch alles Weitere davon abhängt. Von der Wahrheit, der Richtigkeit, der Präzision einer Formulierung. Am Theater sei auf der Ebene der Sprache mehr möglich als beim Fernsehen, da könne man verrückte Sachen machen. Sagt sie. Obwohl. Vielleicht gehe das im Fernsehen auch, müsse man mal ausprobieren. Der Sender räumt dem Erfolgsteam Freiräume ein. Es sei beim Tatortreiniger durchaus drin, so Lausund, die Grenzen des Formates abzuklopfen. Die durchgängig gereimte Folge Der Fluch ist ein Beispiel für die Experimentierfreude aller Beteiligten oder Carpe Diem, das surreale Bürolabyrinth, unter dessen narkotisierendem Einfluss sich Schotty bemüßigt fühlt, die Koordinaten seiner Lebensführung in Frage zu stellen.
Gerade ist Ingrid Lausund auf der Suche nach dem nächsten Projekt. Weiter an Abstraktion arbeiten, unalltägliche Sprachen erfinden, das interessiert sie im Moment. Wie und wo steht noch nicht fest. Nur so viel: im Sommer schreibt Mizzi Meyer drei weitere Folgen des pseudoalltäglichen Tatortreinigers.