In Chris Dercons künstlerischem Leitungsteam vertritt Kennedy als einzige das Sprechtheater, ihre erste Inszenierung an der Volksbühne wird mit Spannung erwartetet. Was die Regisseurin von ihrem Stück erzählt, klingt nach einem präzisen Bauplan für die Hölle des 21. Jahrhunderts. „Women in Trouble“ heißt das selbstgeschriebene Werk, in dem die krebskranke Schauspielerin Angelina Dreem einen Wunderland-Kosmos bewohnt: immer neue Türen öffnen sich zu immer neuen Realitäten, Fiktion und Wirklichkeit werden ununterscheidbar. Dreem hat Krebs und wird in einem hyperrealen Interieur (Bühne: Lena Newton) behandelt, das zwischen Klinik, Wellness und Nachwelt changiert. Unablässig stirbt sie und ersteht auf, ein alptraumhafter Zyklus ewiger Wiederkehr.
Zuletzt polarisierte Kennedy mit einer Adaption der „Selbstmord-Schwestern“ von Jeffrey Eugenides an den Münchner Kammerspielen das Publikum. Die Inszenierung wird ab März an der Volksbühne gezeigt werden. Die Faszination für das Geheimnis des Todes hält in Kennedys Arbeit schon eine Weile an. Auch in „Orfeo – Eine Sterbeübung“ nach Monteverdi – als Koproduktion zwischen Ruhrfestspielen und Berliner Festspielen 2015 am Berliner Martin Gropius Bau gezeigt – erkundete sie die Übergangszone. Man hat es geahnt, auch in „Women in Trouble“ werden die Stimmen als Playback eingespielt, tragen die Schauspieler Silikonmasken.
Wir treffen uns in einem kleinen Büro in der Volksbühne. Die 40jährige ist seit mindestens 25 Jahren – gefühlt seit ewig – die erste Frau, die hier probt, auf der größten Sprechtheaterbühne der Stadt. Unter Castorf wär das nie passiert, da durften Frauen nämlich höchstens auf der Nebenbühne 3. Stock inszenieren.
„Wenn man einen bestimmten Platz erst einmal einnimmt, wächst man daran.“ In dieser Überzeugung unterstützt Kennedy die in Berlin neu gegründete feministische Initiative „Pro Quote Bühne“, in der Regisseurinnen Transparenz in der Vergabe von Budgets und gleichen Zugang zu begehrten Arbeits- und Leitungsfunktionen fordern.
Im Gespräch tritt Kennedy gelassen auf, sie wirkt unabhängig, frei. Die Besetzung der Volksbühne vor einigen Wochen fand sie aufregend, zumal ihre Proben kaum gestört wurden. Natürlich, Verunsicherung sei schon aufgekommen, angesichts der Querelen rund ums Haus, und die Zukunft bleibe offen, aber sie könne damit leben. „Der Druck ist hoch, aber ich habe keine Angst vor dieser Bühne“, sagt sie. „Im Gegenteil, ich habe große Lust, hier zu arbeiten.“
Das Unfertige scheint Kennedyihr entgegenzukommen. Auch, dass unter Dercons Leitung das Ensemble nach und nach entsteht, aus Arbeitsbeziehungen der beteiligten Künstler, entspricht ihren Bedürfnissen. „Das Kataloghafte eines Ensembles oder Spielplans ist eher nicht mein Ideal. Es ist doch interessant zu sehen, was passiert, wenn wir die Strukturen freier angehen“ sagt Kennedy. Keine Verpflichtung gegenüber Konventionen, keine dezidierte politische Haltung.
Seit drei Jahren lebt Kennedy jetzt in Berlin und weiß, dass Haltung in der Stadt als preußische Tugend gilt und eigentlich von jedem verlangt wird. Aber das sei nicht ihr Ding: „Aus meiner Sicht ist die Welt zu komplex für Haltungen, mit einer festen Haltung komme ich auch auf der Probe nicht weit.“
Wie hat sie es als junge Frau im Theaterpatriarchat so weit bringen können? Seit 2013 zwei Einladungen zum Theatertreffen und Berufung in die neue Volksbühnen-Leitung sind mehr als beachtlich. „Es geht darum“, antwortet Kennedy bestimmt, „die innere Stimme zu finden, die einen frei werden lässt, von dem, was andere sagen. Mich hat der unbedingte Antrieb, in der Kunst etwas Bestimmtes zeigen zu wollen, ab einem bestimmten Punkt getragen.“
Als Regisseurin ausgebildet an der Kunsthochschule Amsterdam, inszenierte Kennedy am damals konservativen Nationaltheater Den Haag. Sexismus sei ihr weniger begegnet, dafür wurde sie mit oft Ratschlägen selbsternannter Vaterfiguren bedacht. Hörte weg, schlüpfte in die Rolle der jungen Rebellin und preschte stur geradeaus. Mit dem Ziel, gesehen zu werden. „Geltungsbedürfnis war auch im Spiel“, sagt Kennedy lachend. An den Münchner Kammerspielen vertraute Johann Simons der Künstlerin 2013 für Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“ die große Bühne an. Ein statisches Horrorszenario an der Grenze zur Installation, das sich einbrannte. Die Inszenierung wurde zum Theatertreffen eingeladen.
Ihr Vertrauen in die eigene Vision brachte Kennedy zuletzt den Europäischen Theaterpreis 2017 ein. Kennedy macht weiter ihr Ding, erschafft am Regiepult der Volksbühne einmal mehr das Todesareal einer sterbenden Frau. „Women in Trouble“ ist inspiriert vom Krebstod eines Freundes vor drei Jahren. Viele Fragen seien mit der Krankheit verbunden, nach Schuld, nach Selbstzerstörung. Aus Beipackzetteln von Medikamenten, TED-Talks über Krebs und Blogeinträgen hat Kennedy einen Text in englischer Sprache gebaut.
Kennedys Theater ist Installation. Auf spezifische Weise ist es gleichzeitig überaus körperlich, indem die Physis der Schauspieler unter den Masken vibriert und spricht. Wenn es um ihr Theaterideal geht, kommt Kennedy auf Tarkowskijs Film „Stalker“ zu sprechen. „Theater ist für mich idealerweise wie die Zone in diesem Film. Man wird entführt, darf sich etwas wünschen und in diesem Wünschen begegnet man sich selbst in ungeahnter Intensität. „