Die Uraufführung von Anja Hillings „der Garten“ am Schauspielhaus Wien
An der Bühnenrückwand prangt beim Schlussbild der Uraufführung von Anja Hillings neuem Stück der Garten ein riesiges Rosengemälde. Zum treibenden Sound der Band „Beautiful Boys“ steigert sich das Geschehen in einen Countdown, an dessen Ende die Vegetation das Regiment über den Stillstand der Großstadtyuppies übernommen hat. Es ist der Triumph der absichtslosen Botanik über das menschliche Streben nach Sinn und markiert den Höhepunkt in Anja Hillings dunkler Romantikreminiszenz. Wie ein Krimi beginnt und endet das Stück mit zwei Toten im Garten. Ein Liebestod und seine Geschichte werden in achronologischer Szenenfolge erzählt. Außerdem gibt es sprechende Blumen und die zuweilen kruden Konversationen hohldrehender Kreativer.
Dass der Garten in Wien intellektuell wie emotional gleichermaßen berührt, ist auch den Schauspielern zu verdanken, die einen eigenständigen Umgang finden mit den wuchtigen, manchmal ruppigen Sätzen der Autorin.
Die Regisseurin Felicitas Brucker setzt das sprachmächtige und gedankenschwere Drama sinnlich um und bleibt nah am Text, ohne ihm hörig zu sein. Die Rolle des alternden Rockstars ist mit Thiemo Strutzenberger jung, aber passend besetzt. Wunderbar maniriert spricht und spielt er den lebensmüden Künstler, der alles erlebt und nichts mehr zu erwarten hat. Im echten Leben ist Strutzenberger Sänger der Band, die ihn auf der Bühne begleitet.
Die Hauptfigur, Antonia, immer direkt und in all ihrer brüchigen Entschlossenheit souverän dargestellt von Nicola Kirsch, ist Musikkritikerin und als solche ultradistanziert. Auch sie hat einen Endpunkt erreicht. Am Vorabend ihres Geburtstags trifft sie Embers, den verglühenden Stern und ehemaligen Sinnsucher. Er hat sich einen Garten zugelegt hat und sucht eine Gärtnerin. Beim Konzert passiert es: „Die Frau hat die Augen geöffnet. / Mitten in der Nacht mitten im Leben / Zwischen kreischenden Seelen / Ihr kritisches Herz verloren. / An einen Menschen….“ Anja Hilling hat mit Realismus rein gar nichts am Hut, setzt stattdessen auf Zuspitzung, Überhöhung, Musik. Kaum ein Satz dieses Textes geht leicht über die Rampe. Nicht alles geht auf in diesem Text, manches ist gewagt und vielleicht will die Autorin zu viel. Dennoch ist Anja Hillings Garten ein überaus kraftvoller Text, eine Herausforderung für die Bühnen, die das Schauspielhaus Wien in seiner Uraufführungsproduktion gut gemeistert hat.
Wenn Sam und Antonia sich zum Interview treffen, zeigt Felicitas Brucker die beiden Haltlosen als komplementäre Figuren. Sie, die eloquente Denkerin, er, intuitiv und ohne Ehrgeiz in Sachen Rhetorik. In einer wiederkehrenden Choreographie rennen die beiden parallel zur Rampe aufeinander zu und stoßen sich voneinander ab: hungrig und verzweifelt. Und dann ist da noch Antonias Umfeld, ihre Kollegen und Freunde, die sich zum Geburtstag zusammenfinden, während Anton, wie sie auch genannt wird, alles daran setzt, sich im Garten zu verlieren. In verzweifelten Telefonaten verabschiedet sie sich von ihrer Freundin Edith (Veronika Glatzner), die noch etwas vom Leben will, von ihrer krebskranken Chefin Henriette (Katja Jung), ihrem Freund Martin (Max Mayer). Die Sprache all dieser Leute ist infiziert von Ironie, vom krampfhaften Bemühen, unangreifbar und witzig zu bleiben. Darunter liegen Depression und abgrundtiefe Einsamkeit.
Hilling lockert das Spektrum dieser Konstellation mit zwei interessanten Figuren auf, die noch lebendig sind: Wolfgang (Vincent Glander) und Georg (Steffen Höld), die beiden Polizeibeamten, müssen im Garten die Todesumstände von Sam und Antonia klären. Zwischen ihnen gibt es tröstlicherweise so etwas wie einen Gedankenaustausch. Dem menschlichen Miteinander im Allgemeinen stellt die Autorin im Garten eine bittere Diagnose, aber sie streut auch Hoffnung, dass nicht alles verloren ist.
Und die Blumen. Sie betrachten die wehleidig alternden Menschlein mitleidlos. Sie sind bei Hilling keine stummen Gegenüber, keine menschlichen Projektionen, sondern die ultimativen Kritiker.