Schrecklich viele Schichten

Zwei Milliarden Menschen weltweit menstruieren – trotzdem war es lange ein Tabu-Thema. Das Museum Europäischer Kulturen widmet sich nun der Kulturgeschichte der Menstruation (Missy Magazine, Dezember 2023).

Die Geschichte der Menstruationsprodukte beginnt mit Unterwäsche! Millionen Menstruierende weltweit schlagen sich mit hässlichen Flecken herum, die Monatsblut in ihrer Unterwäsche anrichtet. Egal, was sie sonst im Leben tun, Häuser bauen, Bücher schreiben, Kinder unterrichten, Haare schneiden oder zum Mond fliegen-, der Zyklus erinnert sie mit schöner Regelmäßigkeit an die prinzipielle Bereitschaft ihrer Körper zur Reproduktion. „Jeder Mensch wurde von einem anderen mit Periode geboren“ heißt es schlicht im Eingangstext vor dem Eingang zu „Läuft,“ der „Ausstellung zur Menstruation“, die derzeit im Berliner Museum Europäischer Kulturen (MEK) zu sehen ist.

Von der Menarche, der ersten Blutung, die im Alter zwischen 9 und 16 Jahren auftritt, und der Menopause, üblicherweise im Alter zwischen 45 und 55 Jahren, fließen jeden Monat 30 bis 120 Milliliter mit Schleimhaut und anderen Sekreten angereichertes Menstruationsblut aus der Vagina. Das Bluten ist oft lästig, von Krämpfen und psychischem Schlingern begleitet. Doch Menschen, die in der Lage sind zu menstruieren, können prinzipiell alles, was Nicht-Menstruierende können (und genau deshalb ist der gleichzeitige Kampf für Nicht-Stigmaitisierung und Errungenschaften wie Periodenurlaub heute so wichtig). Was passieren musste, bis diese Tatsache gesellschaftlich anerkannt wurde, davon erzählt „Läuft“ unterhaltsam.

Durch einen roten Fadenvorhang gelangen wir in den ersten Raum. Alltagsnah wird erklärt, wie Menstruierende seit 140 Jahren das Blut von ihrer Oberbekleidung fernzuhalten versuchen. Eine Strategie war es, schrecklich viele Schichten Unterwäsche übereinander zu tragen. In einem Kurzfilm aus dem Jahr 1900 ist eine Person zu sehen, die sich bei der Schneiderin entkleidet und in rascher Folge zwei Unterröcke und zwei bis zu den Knien reichende voluminöse Unterhosen zu Boden gleiten lässt. Zu viel Stoff, so konnte es nicht weiter gehen! Enger geschnittene Unterhosen wurden erfunden, Binden kamen auf, mit Gürteln oder schürzenartigen Stofflappen so am Unterleib befestigt, dass sie das Blut auffingen. In einem Separee haben Besucher*innen die Möglichkeit, solche nachgenähten Teile aus dem 19. Jahrhundert anzuprobieren und festzustellen: Mit einem wulstigen Stofflappen zwischen den Beinen den Tag zu verbringen ist eine Zumutung. Das rote Umkleidekabinett ist eines von vielen liebevoll gestalteten Details.  

Beginnend im Jahr 1889 mit einem handgenähten Hemd, sind entlang eines Zeitstrahls Erfindungen und Wendepunkte in Sachen Produktentwicklung zum Thema Menstruation ausgestellt. Erst ganz viel Wäsche, dann erste Binden und die Zeichnung einer Menstruationstasse, die bereits im Jahr 1937 von der Amerikanerin Leona Chalmers erfunden wurde. Aufgrund des schamhaften Umgangs mit den „intimen Bereichen“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Tasse auf dem Markt nicht erfolgreich.

Wir lernen: Die innovativsten Produkte haben keine Chance, wenn die gesellschaftlichen Umstände hinterherhinken. Und: Progressive Impulse in Sachen Menstruation kamen häufig aus den USA. Das gilt auch für die Erfindung des Tampons. Das deutsche Unternehmen Hahn griff, als es im Jahr 1950 das Produkt o.b. auf den Markt (ohne Binde) brachte, die Idee der amerikanischen Firma Tampax auf. Am Ende der Zeitleiste präsentiert das MEK neben Menstruationstassen von heute, auch den weltweit ersten Menstruationsladen im bayerischen Ansbach, in dem es wiederverwendbare Stoffbinden mit Venusmotiven zu kaufen gibt. Und den neusten Schrei in Sachen Periodenprodukte: Den Tangpon, ein veganes tamponartiges Produkt, hergestellt aus Algen und damit nachhaltig. Das weiße kleine Ding ist derzeit noch nicht marktreif, das Berliner Start Up Vyld arbeitet jedoch daran.

In den Farben weiß und rot sind die Ausstellungsräume poppig aufgemacht, Infoplakate und Schaukästen, Videointerviews mit Menstruierenden unterschiedlichster Backgrounds, die persönliche Geschichten erzählen, bieten vielfältiges Anschauungsmaterial. Eine Art Handapparat mit den wichtigsten Publikationen steht zum Schmökern bereit. Neben der Geschichte von Produkten und Diskursen geht es auch um Endometriose, dieses Stiefkind der medizinischen Forschung, um Vermüllung durch Tampon-Applikatoren sowie andere Hygieneartikel und vieles mehr. Erst seit ungefähr zehn Jahren werde überhaupt öffentlich über Menstruation gesprochen, so Kuratorin Jana Wittenzellner.

Und die unselige Kulturgeschichte zum Thema? In bestimmten spirituellen und religiösen Kontexten galten (und gelten) Menstruierende als unrein. Sie waren angehalten, sich während der Blutung von der Gemeinschaft fern zu halten. Lange hielt sich der Aberglaube, das „Periodengift“ lasse Blumen und Speisen verderben. Dass derart misogyne Thesen ausgerechnet an ein biologisches Phänomen geheftet werden, das mit der Fähigkeit zum Gebären einhergeht, kann kein Zufall sein. Solche gendertheoretischen Fragen werden am MEK nicht vertieft. Stattdessen gibt es ein breites Spektrum an Themen, Phänomenen und popkulturellen Bezügen zur Periode. Die Macher*innen setzen auf unakademische Sprache und das panoptische Prinzip. Auch misogyne, (pseudo)wissenschaftliche Thesen in Sachen Mens werden thematisiert. Positive Erwähnung hingegen finden Dr. Sommers Aufklärungsseiten in der Jugendzeitschrift „Bravo“, wo ab 1969 junge Menschen rund ums Thema Sexualität erstmals keine moralischen, sondern relativ neutrale bis wissenschaftliche Antworten auf ihre Fragen fanden.

Wenn (cis) Männer menstruieren könnten, würde die monatliche Blutung vermutlich als Zeichen von Potenz und Erneuerung gefeiert, schrieb die Feministin Gloria Steinem 1978 in einem satirischen Artikel, den die Ausstellungsmacher*innen im Diskursraum mit witzigen fiktiven Annoncen für Periodenprodukte für Männer aufgreift. Läuft! Wer hingeht, bekommt einen Einblick in die wichtigsten pragmatischen und mentalitätsgeschichtlichen Aspekte rund um „die Regel“ – inklusive Porträts queerer und trans Menstruierender.