900 mal berührt

Was machen 25 Jahre monogame hetero Beziehung mit dem Sexleben? Unsere Autorin schreibt über das Älterwerden, Ankommen und unaufgeregte Intimität. (Missy Magazine, Oktober 2023)

Wir haben Kinder gezeugt, sie großgezogen, Reisen unternommen, Familienarbeit geteilt, Eltern zu Grabe getragen, Bandscheibenvorfälle auskuriert und – grob überschlagen – neunhundert mal Sex gehabt. 25 gemeinsame Jahre in hetero Monogamie. Aber so langweilig wie es klingt, war das gar nicht. Vor drei Jahren bin ich in die Wechseljahre eingebogen, mit nächtlichem Wachliegen, fliegender Hitze zu jeder Tageszeit und trockener Haut. Die Menstruation hat aufgehört: nie mehr Tampons, nie mehr Angst vor noch mehr Kindern. 

Das erste Kind kam ein Jahr nachdem wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten, das letzte sieben Jahre später. Wunschkinder, jedes Mal toll, aber nach zwei Töchtern und einem Sohn haben wir Schluss gemacht mit der Reproduktion. Es gibt noch mehr zu tun im Leben. Zu manchen Zeiten waren auch die Gelegenheiten rar. Kleine Kinder schliefen schlecht ein, lagen jahrelang zwischen uns im Bett und machten insgesamt viel Arbeit. Große Kinder hingen wochentags bis kurz vor Mitternacht im Wohnzimmer rum, daddelten neben unserem Schlafzimmer oder quatschten laut auf Discord herum.

Jetzt ist das Nest leer und wir sind erwacht wie Dornröschen nach hundert Jahren Schlaf. Ich versuche nicht an die Zahl zu denken, die mein Alter benennt, eher daran, wer ich bin. Eine, die ihre Kraft nach außen trägt, die was vom Leben will. Eine, für die Sex Austausch ist, Energie, Zirkulation von Blut; Trost und Verschmelzung. Die Libido macht nicht alles mit. Zu viel Stress ist schlecht, und wenn ein neuer Krieg beginnt. Als eine Freundin vor wenigen Wochen auf tragische Weise ums Leben kam, konnten wir nicht miteinander schlafen. Irgendwann kam der Sommer, der Schmerz ließ nach.

Was sind wir jetzt als Paar? Im Alltag gehen wir öfter getrennte Wege, freuen uns dann beim Wiedersehen. Sex haben wir eher am Morgen, weil wir abends müde sind. Mein Partner ergreift fast immer vor mir die Initiative, ich habe dafür mehr Spaß, so kommt es mir vor. Unsere Sexgeschichte ist unspektakulär. Wo es früher explosiv war, ist es jetzt intim, oder bilde ich mir das ein?

Sex ist für uns beide unterschiedlich gelagert. Als ich letztes Jahr für ein paar Wochen in New York war, fürchtete mein Mann, ich könne dort in erotischer Hinsicht auf Abwege geraten. Für mich ein seltsamer Gedanke, ich schau mich zwar gern um, will aber eher nicht, dass was passiert. Und ich hatte anderes zu tun. Als ich einen jungen Mann in Manhattan nach dem Weg fragte, bot er mir an, gegen Geld mit mir zu schlafen. Ich musste lachen. Ein kleines bisschen hat es auch wehgetan. Ich habe mich gefragt: Kann es Zufall sein, dass ich ausgerechnet ab dem Moment nicht mehr als sexy gelte, in dem ich unfruchtbar geworden bin? Alle Indizien deuten darauf hin. Ich fass es nicht. Doch ich komme auch ganz gut drüber weg, denn die Post-Vervielfältigungsphase hat ihre guten Seiten: Nicht mehr angeglotzt werden. Keine Kommentare zu meinem Gesichtsausdruck von x-beliebigen Typen, kein Mansplaining, wenn ich ohne Begleitung mit Sektglas auf einem Empfang rumstehe. Mega! I can totally do without it. Mein Sexleben ist nicht das originellste, aber darum geht es mir auf lange Sicht nicht. Die Instrumente sind eingespielt und unser Sex heilt mich, lädt mich auf. Fuck the pain away. Wir können jetzt laut sein. Die Kinder sind aus dem Haus.