In „Lady Bird“ lernt eine junge Frau, aus den richtigen Autos auszusteigen
Nichts können, alles wollen. In diesem Konfliktfeld muss die 17-jährige Protagonistin Christine McPherson sich orientieren. Weil sie dahin will „wo Kultur ist“, hat sie sich den Künstlerinnennamen Lady Bird gegeben. Noch drückt sie die Schulbank und die Noten und das Konto der Eltern geben es zwar nicht her, egal, sie will raus aus Sacramento. Nach Yale oder Harvard, oder mindestens New York. Gleich zu Beginn des Films macht Mutter Marion (Laurie Metcalf) ihre Tochter bei einer Autofahrt auf den Widerspruch aufmerksam. Weil es aber nicht das ist, was sie hören will, checkt Lady Bird kurzerhand aus dem fahrenden Auto aus.
Von der ersten Einstellung an erzählt die Schauspielerin Greta Gerwig mit ihrem Regiedebüt Lady Bird so komisch wie schmerzlich von der spezifischen Nähe und den heftigen Spannungen zwischen einer eigenwilligen Tochter und ihrer ebenso eigenwilligen Mutter. Der Film kann als Vorgeschichte z Noah Baumbachs Frances Ha, in dem Gerwig die Hauptrolle einer glücklosen, unentschiedenen jungen Künstlerin in New York hatte. Wahlweise auch als Raupenstadium der Künstlerin Greta Gerwig.
Saoirse Ronan spielt die strähnige Heldin mit staksigem Gang und ungerührtem Blick. Wenigstens nach außen ist sie durch nichts zu erschüttern. Laurie Metcalf brilliert als Erziehungsberechtigte, die zuverlässig nüchtern kontert, wenn Lady Bird abzuheben droht. Ihre Anteilnahme verbirgt sie hinter herben Reality Checks.
Die Dramaturgie folgt dem Prinzip Diskokugel; aus Splittern und Momenten entsteht ein schillerndes Porträt.
Lady Bird, wie sie sich im Gottesdienst schlampig bekreuzigt, wie sie beim Casting fürs Schulmusical forsch auftritt. Dazu diverse Beratungsgespräche mit belustigten Nonnen, ein männlicher Vorname, zu Hause mit Kuli unters Fensterbrett gekritzelt, der erste Kuss, wütende und sehnsüchtige Blicke, Stress mit der Freundin, kindische Ideen, ungebremste Energie, Liebeskummer. Dazwischen die Streitereien mit Mutter am Frühstückstisch, im Wohnzimmer, im Auto, im Bad. Mutter Marion, die höllisch nervt, einfach, weil sie Mutter ist und zu nah dran und weil sie, genau wie Lady Bird, den Mund nicht hält. „Ihr habt beide so starke Persönlichkeiten“, versucht Lady Birds depressiver Vater (Tracy Letts) zu trösten. Er hat sie Rolle des wortkargen Felsens in der Familienbrandung.
Das von der Protagonistin angeblich verabscheute Sacramento kommt im Film als freundliche Basisstation vor. Mutter Marions gemächliche Autofahrten nach der Schicht im Krankenhaus, idyllische Obstplantagen, friedliche Wohnstraßen mit zweistöckigen Villen auf der wohlhabenden Seite der Schienen, dort, wo Lady Bird gern leben würde. Geld und private Pools sind nicht alles, erzählt der Film. Aber das goldene Licht Kaliforniens und der zuversichtliche Pop aus dem Autoradio sind für alle da. Und wenn Lady Bird am Abend des Abschlussballs endlich aus dem schicken Auto jener arschigen Snobs aussteigt, für die sie ihre Freundin versetzt hat, wissen wir, dass sie etwas verstanden hat.
In der laufenden Debatte um weibliche Perspektiven im Filmbusiness beglückt Lady Bird als unorthodoxe Coming-of-Age-Geschichte mit Mut zu fehlbaren, eigenständigen Frauenfiguren und einem genauen Blick auf die Klassenunterschiede der Gesellschaft. Aber es gibt in disem Film noch weitaus mehr, was Freude macht: die geistreichen Dialoge, die unaufgeregt schlendernde Erzählweise, die Liebe zum Detail und der ostentative Mangel an Drama und Pathos.
Lady Bird erreichte im Herbst 2017 auf dem Bewertungsportal Rotten Tomatoes mit 99 Prozent Zustimmung die bis dato beste Bewertung dort überhaupt. Der Film war für den Oscar nominiert. Was können, das machen: von Greta Gerwig als erfolgreicher Künstlerin werden wir in Zukunft noch öfter hören.