Prinz Hamlets Freundin Ophelia ist als schöne Selbstmörderin in die Ikonographie des Abendlandes eingegangen. 1852 griff der britische Maler John Everett Millais die ästhetisierte Überhöhung der Figur auf, indem er Ophelia als blumenbekränzte Wasserleiche malte. Und so ist sie in unser kulturelles Gedächtnis eingeschrieben: liebend, leidend, durchgeknallt. Erst als sie tot ist, bekennt Hamlet sich zu ihr. Die britische Theaterregisseurin Katie Mitchell, die seit ihrer legendären Inszenierung von Kroetz‘ Wunschkonzert 2008 am Schauspiel Köln als Spezialistin für theatralen Selbstmord gilt, lädt mit ihrer neuen Regiearbeit Ophelias Zimmer dazu ein, dieses Bild gründlich zu revidieren.
„Wir haben uns die fünf Szenen, in denen sie im Hamlet auftritt angeschaut und versucht, uns ihr Leben vorzustellen. Sie ist allein, traurig, vereinsamt, ohne Fürsprecher“, sagt Mitchell. Wir, das sind die Regisseurin, ihre Bühnen- und Kostümbildnerin Chloe Lamford und die junge Alice Birch, rising star der britischen Dramatik. Die Aufführung wird von der Berliner Schaubühne und dem Londoner Royal Court Theatre koproduziert.
Im Werbetrailer der Schaubühne spricht die Bühnenbildnerin vom Projekt der Deästhetisierung der Ophelia. Der Blick auf die Bühne im Probenzustand legt nahe, dass es sich vielmehr um eine Revision der Ästhetik handelt. Keine schöne Wasserleiche. Das triste, hässliche Dasein Ophelias scheint hier regelrecht seziert zu werden: Das Zimmer ist ein gut ausgeleuchteter gläserner Quader, erratisch aufragend und exponiert im schwarzen Halbrund der Bühne. Hinter durchsichtigen Wänden ein Bett, ein Nachttischschrank, ein Stuhl und ein Garderobenständer. Das Bild dieses Kastens evoziert Zelle, Krankenzimmer, Dornröschensarg, Siechtum und Tod als Enklave der Frauen. Die graue Tür dahinter führt auf die Bühne von Shakespeares Hamlet.
Erst Ende November ist die Truppe vom Londoner Royal Court Theatre an den Berliner Ku‘damm umgezogen, wo jetzt geprobt wird. Der Blick auf die Bühne legt nahe, dass Ophelias tristes Dasein hier regelrecht seziert wird. Keine schöne Wasserleiche. Das Zimmer ist ein gut ausgeleuchteter gläserner Quader, exponiert im schwarzen Halbrund der Bühne. Hinter durchsichtigen Wänden ein Bett, ein Nachttischschrank, ein Stuhl und ein Garderobenständer. Das Bild dieses Kastens lässt an Zelle, Krankenzimmer, Dornröschensarg, Siechtum und Tod als Enklave der Frauen denken. Die graue Tür dahinter führt auf die Bühne von William Shakespeares Hamlet.
Die Regisseurin sitzt im Foyer, löffelt Suppe aus einem Thermobehälter und schwärmt von den Berliner Biosupermärkten. Ob das Geschehen ausschließlich deprimierend, will ich wissen. Wird der Selbstmord, von dem uns bei Shakespeare nur Hamlets Mutter berichtet, zu sehen sein? „What du you think?“ sagt Katie Mitchell barsch. Soll heißen, „Ja, was denn sonst?“
Die 51-jährige wird als eine der wichtigsten Regisseurinnen gehandelt, hochgelobt dafür, Illusionstheater durch Einsatz von Handkameras und einer live erzeugten Tonspur zu fragmentieren und als gemacht auszustellen. Dieses Mal gibt es keine Kameras, keine Close-Ups und dafür Live-Geräusche. Was Mitchell aber fortführt, ist die Dekonstruktion der Figurenkonstellation als Spielart der feministischen Perspektive. „Ich hätte nicht erwartet, dass diese Arbeit so traurig ist“, sagt sie.
Mit Ophelias Zimmer arbeitet sie sich einmal mehr an einem Stoff der Literaturgeschichte ab. 2013 inszenierte Mitchell an der Schaubühne Die gelbe Tapete, Charlotte Perkins Gillmans Geschichte einer psychischen Krise, geschrieben 1892. Auch sie endete mit dem Selbstmord der Protagonistin. „Suizid ist eben unsere Art, heroisch zu sein“, sagt Mitchell trocken und gerät dann doch in Rage, wenn sie den Kanon der Dramengeschichte aus feministischer Perspektive betrachtet. Inakzeptabel sei es, die großen Tragödien der Weltgeschichte auf den Bühnen Europas unentwegt zu reproduzieren, ohne ihre Genderpolitik in Frage zu stellen. Besonders William Shakespeare, den Übervater der englischen Literatur, hat Katie Mitechell im Visier.
In ihrem aktuellen Projekt sei keine Zeile mehr von Shakespeares Originaltext enthalten. Davon habe sie endgültig genug, erklärt Mitchell und es ist zu spüren, wieviel Spaß ihr dieser Tabubruch macht. Weitere Revisionen kulturprägender Stoffe sind geplant: Lucia die Lammermoor, eine berühmte Selbstmörderin demnächst am Royal Opera House, Pelléas et Mélisande aus Sicht der Melisande in Aix en Provence. An sterbenden Frauen mangelt es in der Operngeschichte wahrlich nicht. „Die Klassiker dominieren die Bühnen, das ist eine Tatsache. Meine Arbeit ist als Projekt der Ausbalancierung zu verstehen.“
Katie Mitchell ist nicht die Einzige, die daran arbeitet. Ein prominentes Schwesternprojekt ist Susanne Kennedys Adaption von Monteverdis Orfeo für die diesjährige Ruhrtriennale. Auch Kennedy hat das pompöse Drama des Titelhelden außen vor gelassen und den Blick ins Reich der Euridike gelenkt: einen ästhetisch verfremdeten Schutzraum zwischen Leben und Tod. Abgeschottet, dem Zugriff des männlichen Helden entzogen, geadelt von einer so spannungsvollen wie handlungsarmen Atmosphäre, in die in Orfeos Sehnsucht nur als Musik einsickert.
Ob Ophelias Zimmer, wie in Virginia Woolfs berühmtem Essay A Room of One’s own (1929), als Ort des Eigenen, als Freiraum zu verstehen sei? Mitchell verneint entschieden. Ihr gehe es erst einmal darum, schonungslos offen zu legen, zu welch einsamer, trauriger Existenz diese Figur verdammt sei. Zwischen den Proben denke sie auch oft an Michael Hanekes ersten Film Der siebente Kontinent s. Noch so ein Selbstmörder-Stoff.