Den starken Auftakt bildet eine statische Einstellung. Darin ist mehr als vier Minuten lang nur das Profil der Hauptfigur zu sehen, die – sie hat sich offenbar verfahren – angespannt hinterm Steuer eines teuren Wagens sitzt, dessen Schalttechnik sie nicht beherrscht. Den Job als Fahrerin beim Film ist sie kurz darauf jedenfalls los.
Im selben Auto, einem Porsche, kehrt die junge Frau in ihre Heimatstadt Straßburg zurück. Bis auf die die Sorge um ihre kranke, störrische und heiß geliebte Großmutter Odette (die gerade verstorbene Claude Gensac in einer ihrer letzten Rollen) und das selbst gewählte Projekt, Omas Badewanne durch eine offene Dusche zu ersetzen, lässt Ana dort die Dinge laufen. Während die Großmutter im Krankenhaus behandelt wird, wohnt Ana in deren Wohnung. Die junge Frau unternimmt von da aus Besuche und Ausflüge in einen deutschen Baumarkt, wo sie den herrlich linkischen Grégoire (Lazare Gousseau) als Helfer für ihr Projekt gewinnt.
Umgeben von Leuten, die Pläne haben und wissen, was sie tun, gilt es für Ana, die Fragen der anderen auszuhalten. Regisseurin Rachel Lang setzt ihre Hauptfigur mit einer alerten, manchmal schwindelerregenden Offenheit und Ziellosigkeit in Szene, visuell gehalten von den strengen Linien der Hochhausfassaden im sozialen Wohnungsbau, der Draufsicht auf Spielplatzgewimmel mit blauem Pool von Omas Balkon und der klaren Ordnung einer gefliesten Wand. Architektur ist die im Film allgegenwärtige Metapher für die Ordnung, die in Anas Leben noch fehlt, ihr aber einstweilen einen Rahmen gibt.
Immer wieder unterbrochen vom tragikomischem Gemurkse an Omas vergilbten Fliesen, passiert das Leben in kleinen Einheiten: Ana isst Erbsen und Möhren mit Ketchup, überschreitet auf der Autobahn mit dem Radio die Höchstgeschwindigkeit um 50 Stundenkilometer und verliert ihren Führerschein, sie redet mit ihrem Kumpel Simon (Swann Arlaud), skypet mit einer Freundin und trifft auf einem Ausflugsdampfer den narzisstischen Künstler und Ex-Freund Boris (Olivier Chantreau) wieder, dessen toxischer Ausstrahlung sie zu verfallen droht.
Und immer wieder kommt Baden Baden auf die Fliesen zurück: Als Ana und Grégoire im Badezimmer nicht weiterkommen, steigt Ana kurzerhand in einer Schwimmbadbaustelle ein, und bequatscht Fliesenleger Amar so lange, bis er ihr seine Telefonnummer gibt.
Baden Baden (der unpassende deutsche Untertitel lautet „Glück aus dem Baumarkt“) ist ein poetischer, trotz der lebensmüden Oma, der sperrigen Badewanne und schmerzhafter Einsichten, tragikomischer Reigen an schrägen Bildern und Situationen, aus denen sich das Porträt einer schillernden Figur herausschält. Die filmische Konvention des Spannungsbogens wird ironisch in der Baustellenhandlung zitiert, aber nicht ernsthaft bedient. Rachel Langs Dramaturgie funktioniert anders, nämlich als diffizile Komposition ineinandergreifender Motive (Bäder, Häuser, Straßen), die überraschend gut trägt.
Bemerkenswert frisch ist auch das Genderregister im Film: Mit ihrer verstrubbelten Kurzhaarfrisur und den abgerissenen Klamotten wirkt Ana mädchenhaft und ist doch alles andere als ein Girlie. Wenn sie grölend mit Tempo 300 über die Autobahn rast und den Polizisten kleinlaut erklärt, das sei ihr halt passiert, ist das postfeminin. Die Staubmaske passt zu Ana wie das lange Abendkleid, das Freundin Mira (Jorijn Vriesendorp) ihr einmal leiht.
Rachel Lang hat als Protagonistin von Baden Baden die wunderbare Salomé Richard besetzt, die für die Rolle ihr Haar geschnitten und männliche Posen geübt hat. Sie darf mit leichter Hand alles sein: schwach und stark, komisch und ernst, zurückhaltend und draufgängerisch. Und es ist eine Freude, ihr dabei zuzusehen.