Diese unentwirrbare Mischung aus Selbstbild und Projektion. Dass sie in all den Jahren nicht nur Theater gemacht hat, sondern auch als Zuschauerin mit Frauenrollen, mit Schauspielerinnen konfrontiert war, die ihr auf der Bühne begegneten, erzählt die Theatermacherin Gesine Danckwart in „Theblondproject“ im Kasino am Burgtheater ganz am Ende des Abends: „Empfinde ich das als meins, weil diese Welt Antworten für mich hat oder weil meine Kopfwelt aus diesen Texten und Bildern und Scripts besteht?“, fragt sie als sie selbst auf der Bühne. Angeschaut werden oder selbst anschauen? Erzählt werden oder selbst erzählen? Der Zugang der Geschlechter zum System unterscheidet sich auf vielen Ebenen.
In ihrer szenischen Installation fragen Gesine Danckwart und Caroline Peters nach den unterschiedlichen Startbedingungen. Sie dekonstruieren Stereotype und gehen auf Abstand. Reflektieren dabei, wie sich solche Projektionen in die künstlerischen und persönlichen Egos eingeschlichen haben. Da sind sie, die Stellen, an denen es hakt mit der Identifikation. „Theblondproject“, von Gesine Danckwart und der Burgschauspielerin Caroline Peters im Rahmen des Programms Doppelpass als Koproduktion realisiert, stellt das Eigene als sperriges Fragezeichen in die noch immer von männlicher Phantasie dominierte gut geölte Theatermaschinerie. Das beginnt beim Format. An diesem Theaterabend müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer aktiv werden. Sie streifen durch einen Parcours an Installationen und entscheiden selbst, wo sie verweilen. Das partizipative Format ergibt sich aus einer grundsätzlichen Haltung gegenüber der Bühnensituation. Bühne ist hier Raum der Befragung, der Begegnung und Kommunikation.
Wie komplex die Dialektik von patriarchaler These und feministischem Einspruch ist, wie diffizil es ist, ein dominantes System von innen heraus kritisch zu befragen, davon erzählt auch die britische Dramatikerin Ella Hickson in ihrem Stück „The Writer“: Eine junge Zuschauerin trifft nach der Vorstellung zufällig den Regisseur. Sie moniert, wie leblos und langweilig das Stück gewesen ist, dass sie und ihre Welt darin nicht vorkommen. Und den Regisseur interessiert ihre Verve, ihr Engagement, dieses „Lebendige“. Er will, dass sie sein Theater schreibt. Aber er hat ganz genaue Vorstellungen von der Dramaturgie. Im Stück folgt die nächste Ebene. Publikumsdiskussion. Hickson nimmt das Publikum nicht nur mit in die Dimension Erzählung, sie zeigt auch den Diskurs. Wie wird gesprochen und wer vertritt welche Position? Die Autorin fasst es so zusammen: Wenn eine Frau die Bühne betritt, geht es darum, ob sie fuckable, also attraktiv ist. Kommt der Mann, fragen sich alle: was wird er tun?
„The Writer“ wurde am Schauspiel Hannover zu Beginn der Spielzeit von Friederike Heller als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne gebracht. Friederike Heller inszeniert nah am Text, nimmt das Publikum mit. Die komplexen Frauenfiguren sind mit Ruby Commey und Caroline Junghanns durch und durch überzeugend besetzt. Die Utopie weiblichen Erlebens, die sich die Autorin gönnt, mündet in einem wundervollen Bild: Eine Gruppe Frauen in goldglänzenden Schuppenanzügen tanzt in einem flirrenden Kreis zur Musik. Fliegende Haare, Gemeinschaft und Solidarität, Auszeit vom Prinzip Unterwerfung. Prompt grätscht der Regisseur dazwischen und weist die Autorin an, sich schleunigst ein „richtiges“ Ende auszudenken. Eines nämlich, in dem er vorkommt. Eines, das der klassischen Dramaturgie entspricht.
„The Writer“ von Ella Hickson ist ein gutes Beispiel für die gefährliche Frage nach einer weiblichen Ästhetik“ sagt Sonja Anders, die Intendantin des Schauspiel Hannover, im Gespräch. „Gefährlich ist die Frage, weil sie suggeriert, dass Kunst vom Geschlecht abhängt. Das stimmt aus meiner Sicht eben nicht. Selbstverständlich sind Frauen und Männer gleichermaßen fähig, große Kunst zu schaffen.“ Unterschiedlich seien lediglich ihre Erfahrungen. Die Perspektive aus der heraus sie sich ausdrücken. „Die sozialen Zusammenhänge, aus denen heraus Frauen agieren, sind komplett andere“, da ist Sonja Anders sehr bestimmt. Noch inszenieren und sprechen Frauen im Theater deutlich seltener als Männer. Geraten dadurch oft in die merkwürdige Situation, als Repräsentantinnen einer Minderheit, als Sonderfall wahrgenommen zu werden: „Solange überwiegend Männer das Umfeld dominieren, spricht man eben als Frau, und nicht als Künstlerin oder Mensch. Und genau das müssen wir dringend ändern.“
Der Regisseur in Hicksons Stück erkennt, dass die andere Perspektive der Autorin seinem Theater etwas zu geben hat und auch die Stimmung in der Branche ist offen für Veränderung.
Partizipative Formate, Neigung zur Arbeit im Kollektiv, diese Kennzeichen der Theaterarbeit häufen sich, wenn Frauen Regie führen. Daraus einen Katalog oder gar eine Weibliche Ästhetik abzuleiten erscheint allerdings problematisch. Aber: der Blick vom Rand her schafft Distanz, er speist Veränderungsenergie ins System. Und was die Riege der größten Minderheit der Gesellschaft angeht, so haben die Regisseurinnen Katie Mitchell, Susanne Kennedy, Marta Gornicka und Yael Ronen, die Intendantin Shermin Langhoff, die Theatermacherinnen Gesine Danckwart, Florentina Holzinger das Kollektiv She She Pop und die Autorinnen Sivan Ben Yishai und Katja Brunner mit ihren jeweils eigenen Mitteln Innovationen angestoßen.
Sie alle sind lange im Geschäft. Werden aber, so scheint es, im Augenblick neu wahrgenommen. Dass Geschlechterungleichheit auf der Agenda steht, dass auch die Frage nach den künstlerischen Aspekten dieses Missverhältnisses Thema sein kann, ist das Ergebnis der rasanten Entwicklung weniger Jahre.
Wie so oft, ist der Stein ganz leise ins Rollen gekommen. Die Schauspielerinnen Lisa Jopt und Johanna Lücke gründeten im Jahr 2015 in einer Oldenburger Küche das ensemble-netzwerk. Die beiden machten Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Medien und Künste, auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam. Und Grütters gab die Studie „Frauen in Kultur und Medien“ in Auftrag. Die niederschmetternden Ergebnisse sind bekannt, sie wurden im Juni 2016 präsentiert. Dort, wo schlecht bezahlt, dort, wo gedient wird, sind Frauen anzutreffen. Dort jedoch, wo Geld und Gestaltungsspielräume sind, machen sie nur wenig über 30 Prozent aus. Die Konferenz Burning Issues schloss sich mit der weiblichen Leitung des Theatertreffens kurz; und es entlud sich geballte Veränderungsenergie. Weiteren Rückenwind bekam die Debatte im Herbst 2017 durch MeToo. Yvonne Büdenhölzers Entscheidung zur Quote beim Theatertreffen hat die Diskussion weiter befeuert. Qualität oder Quantität? Oder hängen diese Faktoren etwa zusammen?
Der Wind of Change frischt auf. Der Kanon der Dramenliteratur, populäre Figuren von Rapunzel und Prinz bis Bondgirl und zugehörigem James Bond, das waren die Frauen- und Männerbilder, auf die wir uns beziehen mussten; fast ausschließlich von Männern erzählt. Für das postbürgerliche Zeitalter taugen sie als Role Models nicht mehr so recht. Wir brauchen diversere Geschichten, und wir brauchen Bilder von Frauen und Männern, die nicht patriarchal gebrandet sind.
Die aktuelle Entwicklung, Innovation und Veränderungsenergie von Theatermacherinnen birgt, wenn sie nicht immer wieder nur auf ihre Defizite abgeklopft wird, die Chance, die dringend notwendige Modernisierung der Theaterstrukturen anzugehen. Der Gender-Pay-Gap ist dabei nur ein Symptom für die nachvollziehbare, aber falsche Verteidigung von Privilegien.
Dass in dieser Spielzeit die Hexe als vorkapitalistisches Kraftpaket in so unterschiedlichen Theaterabenden wie in Yael Ronens etwas albernem „Rewitching Europe“, in Florentina Holzingers vor Energie strotzendem „Tanz“ und auch in „The Writer“ von ihrem Scheiterhaufen aufersteht, ist interessant und folgerichtig. Die Hexe erinnert an die Potenz des weiblichen Kollektivs. Auf der Suche nach Alternativen zum Status Quo hat sie uns etwas zu sagen.