Schöner Scheitern

Mit einem poetisch selbstvergessenen Tanz der Laura beginnt der zweite Teil der „Glasmenagerie“ am Deutschen Theater. Ein starker Moment, der zugleich das Problem der Inszenierung offenbart: Stephan Kimmig legt Linn Reusses Laura als schluffigen Nerd an, der in einer verschrobenen Retrowelt aus Hühnern (live auf der Bühne!), Schallplatten und Glastieren gar nicht schlecht zurechtkommt. In Tennessee Williams‘ autobiographisch geprägtem Stück aus dem Jahr 1944 ist Laura dagegen ein beschädigter Charakter. Ihre Lebensangst ist auch Widerstand gegen das Funktionieren-Müssen, gegen die Normierung durch die Prinzipien Geld, Macht und Erfolg, die der supernormale Besucher Jim wie ein Mantra wiederholt. In ihrem Beharren auf Eigensinn hat Laura das Zeug zur Identifikationsfigur. In Kimmigs Inszenierung wird das kaum deutlich. Mutter Amanda, nur eine Spur zu exaltiert gespielt von der wunderbaren Anja Schneider, die mit der Rolle ihr Debüt am DT gibt, ist (zu) jung besetzt: eine tapfere Alleinerziehende, die- bei aller Armut und Perspektivlosigkeit- noch recht gut dasteht. Beide Figuren sind stimmig, doch fehlen ihnen Fragilität und die Fallhöhe, die es braucht, ihre Tragik nachempfinden zu können. Marcel Kohler als Tom ist stark als wütender Sohn des Hauses, wenn er an der Rampe die Situation in der Familie erklärt oder seiner Mutter im Streit vorhält, was er der Familie opfert.
Als im zweiten Teil der in Rhetorik geschulte Jim im Hause Wingfield weilt und der Strom ausfällt, bekommt der Abend neuen Glanz und Dynamik. Einzelne wunderbare Epsioden, etwa ein virtuoser von Beatboxen begleiteter Tanz des großartigen Holger Stockhaus und witzige, schrille Slapstick-Nummern stehen nebeneinander. Was nicht entsteht, ist jene schräg-versponnene Welt, innerhalb derer die Hoffnung der Wingfieldfrauen für einen Moment keimt, um dann endgültig zu sterben.