Intergalaktische Migration

Sibylle Bergs Serienheldin flüchtet in der neusten Folge am MGT vor der Bürgerwehr

Ausgerechnet am Tag der Bundestagswahl feiert der neuste Einblick in das herrlich unaufgeräumte Bewusstsein einer Frau Premiere. „Nach uns das All – das innere Team kennt keine Pause“ ist nach „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ (Stück des Jahres 2014) und „Und dann kam Mirna“ (Friedrich-Luft-Preis 2015), die dritte Folge von Bergs gefeierter Serie am Maxim Gorki Theater.
Skandierten und tanzten in den bisherigen Folgen aufmüpfige Choristinnen dynamische Sprechopern, um den ganz normalen Alltag immerhin diskursiv zu bewältigen, ist in einer nahen Zukunft Deutschland für Sibylle Bergs nerdige Antiheldin unbewohnbar geworden. Die Heldin muss in Folge drei kurz vor dem Abflug auf den Mars einen männlichen Gefährten wählen. Lästig, aber so will es nun mal die Spielregel der Mars-One-Show, die die die intergalaktische Migration finanziert. Wenn der eisige Mars als Exil in Frage kommt, muss die Lage auf dem blauen Planeten ernst sein.
Gut zu wissen, dass sich das Girlpower-Ensemble um Nora Abdel-Maksoud und Suna Gürler dem Text und den männlichen Kollegen, die neuerdings dabei sind, unerschrocken stellt.

Wie hat die Demokratie nur so den Bach hat runtergehen können? fragen die in Weimar geborene, in Zürich lebende Schriftstellerin und Spiegel-Kolumnistin Sibylle Berg, ihr Regisseur Sebastian Nübling und Choreographin Tabea Martin. Genderspezifische Nöte treten in der neuen Folge ihrer Theaterserie den Hintergrund, die Heldin hat andere Probleme. Sie flieht vor dem Sieg einer volkstümelnden Mehrheitsgesellschaft, die sich in vielen unschönen Phänomenen, aber auch in Facebook-Posts wie „Alter, ich will Ansagen“ äußert.
Die Heldin zieht die Jahrtausendwende als „früher“ heran. Damals war Hoffnung und Zukunftstaumel. Dann kamen 9/11, das Internet, der IS und die AfD – und die Karten wurden neu gemischt. Die Bilanz fällt tragikomisch aus: „Die Menschen sind zu dumm für Waffen und Ruhe und Führungsaufgaben…Für Religion und äh, sag schon – das Leben.“

Um Tweets und Kolumnen nie verlegen, gibt Autorin Berg fast keine Interviews. Immerhin beantwortet sie per Mail ein paar Fragen. Wandert sie demnächst auf den Mars aus? „Nein.“ Und sähe es auf der Welt besser aus, wenn Männer und Frauen in Politik und Wirtschaft gemeinsam zu entscheiden hätten? „Pure Spekulation! Frauen haben seltener den Tunnelblick, bessere Menschen sind sie aber auch nicht.“ Zur Bekräftigung erinnert sie an einige AfD-Funktionärinnen. „Frau Berg“, wie sie sich auf Spiegel-Online nennt, sieht einen Weg, wie das Rädchen Mensch auf das Weltenschicksal einwirken kann, und sie antwortet genderneutral. „Solange die Einzelnen nicht aus ihrer Bequemlichkeit und der Haltung: Wird schon- erwachen, wird die Welt von denen dominiert, die laut und aggressiv sind oder reich. Die Einzelnen können sich überlegen, welchen Megagigantenkonzern wie Amazon und Google sie noch reicher machen.“
Was tun? Frau Berg kennt die Antwort: kritischer Konsum als Druckmittel und spritziges Theater zum Wachbleiben!