Heidi Klum frisst den Brexit

Die gestrickte Wollmütze mit seriellem Pinguinmotiv trug der deutsch-koreanische Dramatiker Bonn Park an allen vier Tagen des Stückewettbewerbs beim Theatertreffen. Fashionstatement oder eher Hinweis auf eine Kinderseele, gefangen im Körper eines Dreißigjährigen? Bonn Parks Sci-Fi-Tour-de-Force durch die Problemzonen des Weltgeschehens trägt den putzigen Titel Das Knurren der Milchstraße. Nach dem Marathon an szenischen Lesungen entschied der mehrfach ausgezeichnete Theaterautor den Wettbewerb für sich.

Kim Jong-un macht sich auf, die beiden Koreas wiederzuvereinigen, Ex-Präsident Trump hat die Schnauze voll von seinem Geld und die fette Heidi Klum frisst den Brexit auf und vertilgt, was sonst noch den Weltfrieden stören könnte.
Parks Figuren surfen als tragikomische Superhelden durch Zeit und Raum, reparieren die Weltpolitik, bis sie dem Autor gefällt. Mit diesem pseudonaiven Anarchogestus ist Bonn Park die Pippi Langstrumpf der deutschsprachigen Dramatik, dabei Generation Internet, bis obenhin voll mit Pop-Kultur und Schund und Informationen. Schreibend wird er vom Empfänger zum Sender, der es – auf seine Art- ernst meint.

Die weltumspannende Handlung entspricht dem in der Ausschreibung formulierten Anspruch, es sollten politische Realitäten verhandelt, Visionen einer anderen Zukunft gewagt werden. Dass dies im Medium der Sprache geschieht, ist im Umfeld sich weiter ausdifferenzierender Erzählformen im Theater bemerkenswert. Literarische Sprache, das wurde in diesem Wettbewerb nicht nur durch Bonn Parks Text deutlich, hat viele Mittel die Realität zu entgrenzen. Und ist darin dem Theater verwandt.

Zu einem utopischen Abschluss kam auch das einzige Projekt, das die Jury in diesem Jahr präsentierte: Who Cares?!- eine Personalversammlung der Sorgetragenden aus der Werkstatt des feministischen Kollektivs Swoosh Lieu. Das durchkomponierte Hörstück aus Interviews mit Frauen in Care-Berufen mündete in eine satirische Scie-Fi-Doku: Nach der großen Pflege-Revolution wollen alle Pfleger sein, denn die Arbeit ist gut bezahlt, alles supi, auch das Umfeld stimmt, denn neuerdings gehören die Häuser denen, die drin wohnen. Die Arbeit überzeugte mit einer Esprit und Tiefgang.

Petra Hůlovás essayartige Bestandsaufnahme der beklemmenden Situation tschechischer Intellektueller Zelle Nummer blieb trotz sprachlicher Qualitäten in der szenischen Lesung der deutschen Übersetzung unzugänglich, während We are the ones our parents warned us about von der der serbokroatischen Autorin Tanja mit einer traumartigen Dramaturgie fesselte: Zufallsbegegnung zweier Menschen auf einer öffentlichen Toilette irgendwo in Bosnien, im Tempo eines Stroboskopflackerns überblendet mit Erinnerungsschichten und Möglichkeitsräumen.
Vorsichtiger leuchtete Tine Rahel Völckers exemplarische Auseinandersetzung mit der Geschichte der polnischen Juden Adam und die Deutschen.

Das erste Theaterstück des Schriftstellers Reiner Merkel Lauf und bring uns dein nacktes Leben basiert auf Erfahrungen als Leiter eines Krankenhauses in Liberia. Merkel beschreibt den versteckten Rassismus der Helferindustrie. Bei aller Brisanz, erwies sich dieser Text ls nicht bühnentauglich.

Dem Anspruch der Jury, starke Texte zu präsentieren, die das Theater auf die eine oder andere Art herausfordern, ohne anschlussfähig an den Theaterbetrieb sein zu müssen, wurde der Jahrgang 2017 allemal gerecht. Gut zu wissen, dass Bonn Park mit Hilfe des eroberten Werkauftrags daran arbeiten wird, die kaputte Welt zu reparieren. Kaum etwas haben wir so nötig, wie Visionen.