Bye, bye, Bescheidwisser

Systemkritik macht sich gut im Theater. Warum aber hinterfragen mächtige Theatermänner so selten ihre eigene, höchst privilegierte Position in den Institutionen?

Zeitenwende an der Volksbühne Berlin. „Women in Trouble“ und „Die Selbstmord-Schwestern“ stehen auf dem Spielplan. Weil sie eine Frau ist, hätte die eigenwillige Regisseurin Susanne Kennedy unter Castorfs Intendanz nie auf der großen Bühne proben können. Schon gar nicht ihr eigenes Stück. Das war ein unausgesprochener kategorischer Imperativ an der Volksbühne.
Im Unterschied zu seiner heiß geliebten Kunst wird das patriarchale Regiment des Großkünstlers Castorf in Zukunft nicht fehlen. Oder ist das naiv gedacht und totale Kunst eben nur unter der Allmacht eines Patriarchen denkbar, der mit politischer Correctness grundsätzlich nichts am Hut hat? Regisseure wie Christoph Mahrtaler, René Pollesch haben an der Volksbühne wegweisende Theatersprachen entwickelt. Furiose Protagonistinnen wie Sophie Rois und Lilith Stangenberg haben weibliche Rollen stark und farbenfroh interpretiert. Was fehlte, waren Welten und Figuren, die von Frauen erfunden waren.
Doch geht das nicht auch anders? Im Windschatten der Sexismusdebatte ist der Moment günstig, das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern in den Institutionen der Kunst in den Blick zu nehmen. Es wird Zeit, dass sich sonst so bescheidwisserische Theaterleiter wie Matthias Lilienthal, Thomas Ostermeier und ihre 161 Kollegen dem Widerspruch stellen, dass sie ihre subventionierte Systemkritik und ihre künstlerischen Entwürfe aus einem Feudalsystem heraus formulieren, das schon dadurch fragwürdig ist, dass es von einer homogenen Gruppe weißer Männer beherrscht wird, die ihre Macht verteidigen.

Die von Staatsminsterin für Kultur Monika Grütters in Auftrag gegebene Studie „Frauen in Kultur und Medien“ belegte im Jahr 2016 mit Zahlen, was Regisseurinnen und Autorinnen ständig erleben: Führungspositionen, Theaterleitung und Inszenierungen auf großen Bühnen liegen zu 80 Prozent in Männerhand. Intendantinnen großer Häuser wie Karin Beier am Schauspielhaus Hamburg, Barbara Frey am Schauspielhaus Zürich, Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater sind absolute Ausnahmen. Frauen dürfen in der Regel soufflieren und assistieren oder in der Studiobühne inszenieren. Etwas, das sie mit „den Ossis“ verbindet. Denn die waren und sind in der männlichen Variante in der Theaterwelt vertreten (siehe Heiner Müller, Frank Castorf und Einar Schleef), in den übrigen Eliten der Gesellschaft jedoch kaum, wie eine neue Studie der Deutschen Gesellschaft e.V. belegt. Geeignete Persönlichkeiten gibt es, sie werden nur systematisch wenig berücktsichtigt. Und das vielleicht nicht mal mit Absicht. Es passiert einfach. Weil Berufungskommissionen nicht paritätisch besetzt sind, weil Macht instinktiv verteidigt wird. Da lässt man ungern Leute ran, die nach anderen Regeln spielen.

Die Neue in Chris Dercons Team, Susanne Kennedy, hat innerhalb kurzer Zeit eine kometenhafte Karriere hingelegt. 2013 fiel sie mit einer provozierend installativen Inszenierung von „Fegefeuer in Ingolstadt“ an den Münchner Kammerspielen auf, die prompt zum Theatertreffen, der Bestenschau der deutschen Theaterlandschaft, geladen wurde. Chris Dercon holte sie in sein Leitungsteam an die Volksbühne. In der Zwischenzeit ist Kennedy auch noch Mutter geworden. Wie hat sie das gemacht? Beim Gespräch in einem Büro in der Volksbühne strahlt die Regisseurin entspanntes Selbstbewusstsein aus: „Ich habe mir von Anfang an Klassiker vorgenommen und die so deutlich bearbeitet, dass jeder sehen konnte, was ich in meiner Kunst will. Gesehen zu werden war ein starker Antrieb für mich. Und damit bin ich vorgeprescht.“ Eine gehörige Portion Geltungsdrang sei auch dabei gewesen, gesteht die Vierzigjährige mit einem Grinsen. Kompromisslosigkeit und Straightness sind wichtig, Chancen und Möglichkeiten gehören aber auch dazu. Kennedy weiß das. Als sie an den Münchner Kammerspielen unverhofft auf der großen Bühne inszenieren konnte, weil der damalige Intendant Johann Simons ihr das zutraute, hat sie erlebt, wie es ist, am Format zu wachsen. „Du kommst eben nicht fertig an, sondern lernst, den Raum zu füllen, wenn er vor dir liegt“, sagt sie und unterstützt die Forderungen des neu gegründeten Vereins Pro Quote Bühne. 50 Prozent aller Führungspositionen und Regiearbeiten, 50 Prozent der Budgets in Frauenhand fordern die Gründerinnen.

Die Mitgründerin des Vereins, die Regisseurin und Autorin Amina Gusner, erklärt, dass es darum geht, Frauen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen, den Mechanismen des Systems entgegenzuwirken. Dem Standardargument gegen Quoten, in der Kunst gehe es um Qualität, hält sie die Einseitigkeit, die Krise der Theaterkunst entgegen: „Dann müsste ja alles, was wir jetzt zu sehen bekommen, supergut sein. Ist es aber nicht. Dem Theater fehlen die Frauen, fehlt die Vielfalt der Handschriften, dem Theater fehlt Weiblichkeit und eine andere Weltsicht.“

Bei einer Analyse der Theaterlandschaft fällt auf, dass freie Produktionsstätten wie Hebbel am Ufer in Berlin, Kampnagel Hamburg, Mousonturm Frankfurt oder das FFT Düsseldorf in Frauenhand liegen. Dort, wo die Strukturen durchlässiger sind, wo es – so die bösartige Vermutung – um weniger Geld geht, dort, wo die Arbeit kollektiver organisiert ist, tummeln sich Netzwerkerinnen. Franziska Werner, Leiterin der sophiensaele in Berlin, will aber das Klischee der kommunikativen Frau und des männlichen Alleingängers nicht immer wieder bedienen: „Mir geht es darum, diese Klischees loszuwerden und einen anderen Zustand zu erreichen. Bis dahin geben wir allerdings gezielt Frauen Arbeitsmöglichkeiten. Stellen unsere Räume für deren Weltsicht zur Verfügung und diese, das stellen wir fest, geht oft von einem subjektiven Standpunkt aus.“ Das gilt auch für Anne Haug und Melanie Schmidli, die als „Projekt Schooriil“ in einer Late Night Show an den Sophiensaelen zwerchfellanregend ausschlachten, was Schauspielerinnen von Berufs wegen an Sexismus erleben. Und für die grandiose Vanessa Stern, die in ihrer Show „La Dernière Crise“ weibliche Komik jenseits der Selbsterniedrigung erforscht. Die Sophiensaele und andere freie Produktionsstätten bieten Raum für alternative Diskurse, Empowerment und Widerstand. Das ist wichtig, schon wegen der Nachwuchsförderung und der berühmten Sichtbarkeit. Es reicht aber nicht, um die Situation entscheidend zu ändern. „Wenn wir wollen, dass Regisseurinnen nicht nur marginal vorkommen, sondern zentral, dass sie also in den großen Räumen ebenso selbstverständlich zu Hause sind wie ihre Kollegen, müssen Männer mitziehen und ein Stück ihrer Macht abgeben“, sagt Franziska Werner. Die Argumente liegen auf dem Tisch. Ziehen wir es durch!