Berg von Fragen

Sein Filmdebüt Violent nennt der Musiker und Regisseur Andrew Huculiak „Traum einer jungen Frau“. Der Film ist im Jahr 2014 neben und während der Arbeit am gleichnamigen Album der kanadischen Band We are The City entstanden. Unter diesen Umständen mag es überraschen, dass Violent – gerade als Video-on-Demand herausgekommen – alles andere ist, als ein Musikvideo in Überlänge. Der Film kommt dagegen als höchst eigenständiges Werk daher, mit einprägsamer Bildsprache und interessanter Dramaturgie, die nicht einen Plot, sondern Themen in den Vordergrund stellt.

Es geht um nichts weniger als um Glaube, Gott und Tod. Während einer Autofahrt durch eine urbane Landschaft dringt elegischer Pop aus dem Autoradio, die Kamera schwenkt langsam nach rechts auf einen gewaltigen Bergrücken. Mit einem Mal dringt ein Gleißen ins Auto. Blackout.
Dagnys innerer Film setzt ein. Mit ihrer Schwester Astrid sieht sich die goldblonde Frau im ersten Kapitel durch eine mystische Landschaft wandern, Wald, moosbewachsene Felsen, spiegelglatter See, Berggipfel im Abendrot. Das etwas hölzerne philosophische Gespräch zwischen den beiden jungen Frauen dreht sich um die Frage nach Gott. Wuchtiger Elektropop lädt die gestochen scharfen Bilder einer monumental inszenierten Landschaft atmosphärisch auf.
Und bald wird klar, dass Violent das Genre Katastrophenfilm komplett gegen den Strich bürstet. Bedächtig, langsam, geradezu asketisch meidet die Regie Bilder von Zerstörung. Und setzt stattdessen alles daran, den Moment des radikalen Angehaltenseins einzufangen, Gefühle, Gedanken, Erinnerungen nachzubilden, im Angesicht des Todes.
Die skandinavische Schönheit Dagny Backer Johnson spielt Dagny, die Fahrerin des Wagens mit großen Augen, nachdenklich und offen für alles, was kommt. Sie rekapituliert die Begegnungen ihrer jüngsten Vergangenheit.
Fünf Kapitel hat der Film, benannt nach den Personen, von denen Dagny sich mental verabschiedet. Daraus ergibt sich eine minimale Handlungschronologie, die am Ende wieder in die erste Autofahrt mündet, ins Jetzt einer nicht näher beschriebenen Katastrophe.

Nie geht es in Dagnys Gesprächen um Banales, sie schlägt sich mit der existentiellen Einsamkeit des Menschen herum. Und so verweist der Filmtitel nicht auf physische Gewalt, sondern auf die Heftigkeit der Einsicht, sterblich zu sein. „Denkst du auch manchmal, es könnte das letzte Mal sein, dass wir uns sehen?“ fragt Dagny ihre Freundin. Die schaut verständnislos.
Aus dem Off protokolliert die feste Stimme der Sterbenden in den Zwischenkapiteln ihr Erleben: „Es fühlt sich an wie Wasser, es fühlt sich an wie Elektrizität“ dazu sehen wir Bilder bewegter Wasseroberflächen, Retro-Interieurs, durch die Mobiliar in Zeitlupe purzelt, menschliche Körper, die als schwarze Punkte über ein Giebeldach driften. Menschen und Dinge, befreit vom Gesetz der Schwerkraft. Von allem befreit.
Der Tod schwebt als unsichtbare Autorität über den Dialogen, nur schwächelt das Pathos im Laufe des Films und hört – trotz perfekter Bilder, trotz suggestivem Soundtrack – irgendwann einfach auf, einen durch den Film zu tragen. Es fehlt an Variationen des Themas, an Kontrapunkten und Brüchen. Die spätpubertäre Todesromantik ist erschöpft und dann ist der Kitsch nicht mehr weit.

Violent ist trotz dieser Mängel ein interessantes Projekt, aus dem die Leidenschaft derer spricht, die jung sind. Die Musiker Andrew Huculiak und Band-Kollege Cayne McKenzie haben das Script geschrieben, den Soundtrack komponiert und mit Amazing Factory Productions zusammengearbeitet, die auch ihre Musik-Videos produziert. Ihr Ehrgeiz ist daran abzulesen, dass in Norwegen gedreht wurde, ohne Kenntnisse der norwegischen Sprache, mit überwiegend einheimischem Cast. Um der fremden Sprache und der grandiosen Berglandschaft willen. Sie bildet den visuellen Gegensatz zur Vergänglichkeit des Menschen.